Heinz-Ulrich Nennen | www.nennen-online.de

ZeitGeister | Philosophische Praxis

Philosophie der Psyche

Category: Traum

Was soll man(n) tun, wenn „die“ Frau wütend ist?

Wer zu „woke“ ist, den bestraft das Leben

Michail Sergejewitsch Gorbatschow, der ehrenwerte und letzte Staatspräsident der Sowjetunion, hatte bekanntermaßen ein äußerst inniges Verhältnis zu seiner Frau Raissa Maximowna Gorbatschowa. – Man hat ihn später hier in Münster desöfteren am Aasee spazieren gesehen, als seine Frau, übrigens eine Philosophin, mit dem Krebs kämpfte.

Jean-Léon Gérôme: Die Wahrheit kommt aus ihrem Brunnen (1896).

Beide kannten sich lang und waren, wie es nur wenige Paare fertig bringen, wirklich ein Team. In ihr hatte er eine unbestechliche Ratgeberin, so wie es Platon idealisiert hat. Er stellt die Philosophenkönige vor wie welche, die einfach deswegen nicht bestechlich sind, weil sie schon „alles“ haben, was nicht mit Geld zu bezahlen ist.

Gorbatschows Verzweiflung über ihren Tod dürfte nicht minder groß gewesen sein, wie die angesichts der schier unlösbaren Aufgabe, den Saurier Sowjetunion mit einem heimtückisch taktierenden Westen im Nacken dennoch wieder auf Kurs zu bringen. Von wegen keine Osterweiterung der NATO, von wegen „gemeinsames Haus Europa“.

Ein Putsch machte alle Hoffnungen zunichte und brachte einen Trunkenbold wie Jelzin ans Ruder und Oligarchen, die sich das ehemalige Volksvermögen unter den Nagel gerissen haben. Im Windschatten dieser Verwerfungen fand Putin als Nachfolger seinen Weg zur Macht, der das alles natürlich als demütigende Katastrophe empfunden hat.

Aber nun zur Frage. Was hat Gorbatschow gemacht, wenn Raissa Maximowna Gorbatschowa wütend war? Er hat es in einem Interview selbst ausgeplaudert und für mich klang es auch ein wenig wie eine Rezeptur, wie eine Empfehlung, was denn nun männlicherseits zu tun sei in solchen Fällen, wenn die Frau außer sich ist vor Wut.

Er habe sie in die Arme genommen, fest umschlossen, um sie auch bei Gegenwehr ganz nahe bei sich fest zu halten, bis alles wieder gut war. Das scheint in der Tat hilfreich zu sein, denn ich habe gesehen, daß es insbesondere bei Kindern und Menschen in psychischen Ausnahmezuständen positiv wirken kann. Einfach nur halten, bis wieder gut ist.

Der Grund dürfte darin liegen, daß die Wut hier selbst zum Ausdruck gebracht werden darf. Sie wehrt sich anfangs gegen den äußeren Widerstand der Umklammerung und wird immer stärker, bis sie sich wie durch ein Ventil endlich wieder abbauen kann, weil sie ja nun ihren Ausdruck gefunden hat.

Aber wie es üblich in diesen desorientierten Zeiten üblich ist, werde manche ganz gewiß jetzt Zeter und Mordio schreien: Ist das nicht Gewalt gegen die Frau? – Oh je.

Wer zu woke ist, den bestraft das Leben. – Die Formulierung stammt übrigens nicht von ihm, sondern von einem seiner Sprecher. Das geflügelte Wort wurde zum Orakelspruch. Es fiel auf einem informellen Treffen mit Pressevertretern beim Staatsbesuch von „Gorbi“ in Ostberlin


Kunst als Traumarbeit

Über Kitsch, Design und Kunst

Es gibt eine Installation der Bildhauerin Miriam Jonas, die sich bei der Betrachtung erst ganz allmählich erschließt. Dabei ist es wesentlich, sich diesem Werk aus der Distanz mit mäßigem Schritt anzunähern.

Auf weißer Fläche sind in Mustern angebrachte, eckig–abgerundete oder auch ovale Objekte zu sehen, die nicht aufgemalt, sondern aufgesetzt sind. — Allerdings sind die 75 Objekte dieser Wandarbeit mustergültig aufgebracht.

Die Anordnung entspricht den Polka Dots, einem Stoffmuster, das im 19. Jahrhundert in England aufkam: Gefüllte Punkte, die auf engstem Raum verteilt ein regelmäßiges Muster abgeben. — Die Wahrnehmung beginnt zu flimmern, weil das Hirn changiert.

Es kann offenbar nicht eigenmächtig entscheiden, welche Ordnung
denn nun vorherrschen soll. So geht es dann hin und her, bis die
Punkte zu tanzen beginnen…

Miriam Jonas: Polka Popes. Wandinstallation aus 75 Teilen, Plastilin, Fischkonservendosen, Acrylglas, Holz. Maße: 260 x 415 cm; Barcelona, Münster 2011.
— Quelle: Miriam Jonas: www.miriamjonas.de/Polka-Popes.

Kunst, Design und Kitsch

Der Unterschied zur Kunst ist die Seelenlosigkeit beim Kitsch, weil es kein Eingedenken ist, sondern lediglich sinnfreies Andenken.

Der Unterschied zwischen Kunst und Design liegt darin, daß der Anspruch auf Bedeutung zum Fetisch erhoben wird. — Tatsächlich gehen die exklusiv inszenierten Ambitionen jedoch nicht auf, weil es nur Simulationen von Sinn sind, die keine Seele und auch keinen Geist zum Bleiben animieren könnten.

Die Polka Popes von Miriam Jonas gehen auf eine Begegnung der Künstlerin mit der spanischen Folklore und der Volkskultur in Barcelona zurück. — Es ist selbst wie ein Traum, was dieses Werk in Szene setzt, denn das macht Träume so bemerkenswert: Sie bringen ganz mühelos unterschiedliche Sachen zusammen, die eigentlich voneinander geschieden sind.

Derweil wird in diesem Werk das Kunstschaffen selbst thematisiert. Ambivalenzen werden aufgefächert, überraschende Verbindungen werden geknüpft. — Die Fassungen der vermeintlichen Edelsteine entpuppen sich bei näherem Hinsehen als Fischkonserven, und die Gemmen darin sind nicht aus Horn oder Edelstein, sondern aus kindgerechtem Plastilin, gehalten in der Palette authentischer Quietschfarben.

Genau auf diese Weise arbeiten auch Träume, wenn sie auf der Grundlage zunächst willkürlich erscheinender Arrangements ganz überraschende Verbindungen herstellen, die allerdings zu lesen und noch mehr zu deuten und zu verstehen geben. — Es ist ein interessanter Hinweis, wenn ein Traum in Barcelona erwähnt wird.

Träume haben die Lizenz, ihre eigene Wirklichkeit zu konstruieren. Dabei sind sie mächtig genug, alles Erdenkliche überraschend zusammenzufügen. Im Traum scheint es so, als wäre es vollkommen selbstverständlich, mit traumwandlerischer Sicherheit das eine mit etwas vollkommen anderem zu kombinieren, um damit etwas zu verstehen zu geben.

Hinter den Träumen stehen Botschaften, wenn mit Übertragungen, Allegorien und Symbolen bemerkenswerte Umbesetzungen vorgenommen werden, die spektakulär sein können in ihrer Bedeutung, wenn man die Traumarbeit zu deuten versteht.

So etwas geschieht auch in diesem Werk: Die einzelnen Bestandteile sind mustergültig nach Art der Polka Dots arrangiert, so daß die Objekte bald aus der Reihe tanzen, kindlich und doch wieder nicht ganz so unschuldig, weil sie vielleicht auch nur so tun.

Im Traum wird alles zum Zeichen, nichts muß sein und bedeuten, als was und wie es erscheint. — Schließlich kann auch das Kokettieren mit Unschuld selbst wieder Erotik heraufbeschwören. Nicht von ungefähr ist daher dieses Muster äußerst beliebt bei Dessous, denn beim Spiel mit der Unschuld geht es auch um Koketterie.

Die Polka Popes von Miriam Jonas arrangieren unterschiedliche Aspekte zu einem künstlerischen Traum. — Entscheidend ist nicht nur daß, sondern auch wie es ein Kunstwerk fertigbringt, ein derartiges Netz beziehungsreicher Spannungen zu erzeugen, zwischen Ordnung und Freiheit, Kunst und Kitsch, Original und Fälschung, zwischen dem Heiligen und dem Profanen.