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    Heilsame Phase innerer Einkehr

    Die Pandemie zwischen kritischer und positive Betrachtung

    Interview, Vorarlberger Nachrichten,  5. Juni 2021

    Die Pandemie zwischen kritischer und positiver Betrachtung.

    Es ist sehr viel die Rede von einer verlorenen Generation. Ist es wirklich so schlimm? 

    NENNEN Wer von einer „verlorenen Generation“ spricht, stellt einen Vergleich her, der nicht angemessen sein kann. Bezeichnet wurden damit die Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs. Erst allmählich verstehen wir, was das bewirkt hat an Leiden. Da sind nicht physische, sondern psychische Existenzen auf Dauer vernichtet worden. Wir können heute erst allmählich nachvollziehen, was Traumatisierung eigentlich bedeutet. Erschreckend ist vor allem eines: dass so etwas weitergegeben wird, weil eine Generation überfordert ist mi der Aufarbeitung solcher Erlebnisse.

    Oft verwehren sich Jugendliche gegen eine solche Bezeichnung. Ist die Jugend doch stärker, als wir es ihr zutrauen?

    NENNEN Es kommt immer auf die Relation an. Corona hat die üblichen Erwartbarkeiten erheblich verunsichert, gerade das würde ich nicht als schlimm betrachten, sondern eher als Chance. Unsichere Zeiten bieten immer auch neue Möglichkeiten. Wir leben ohnehin in einer Zeit, in der die Jugend im Aufwind begriffen ist. Corona war nur eine Verzögerung des anstehenden Generationenwechsels.

    Insofern ist es ein solider Selbstbezug, sich nicht in die Opferrolle drängen zu lassen. Es ist keine verlorene, es ist eine kommende Generation. Was mir aber von Studierenden mitgeteilt wird, zeigt, dass die Belastungen gerade für die unter 30–Jährigen ganz erheblich sind.

    Können/sollten da nicht eher die Erwachsenen etwas lernen?

    NENNEN Allerdings. Es sind von Anfang an in der Coronakrise bestimmte Zeichen gesetzt worden, die ein generelles Misstrauen in die Jugend signalisiert haben. Das widerspricht den Prinzipien humaner Pädagogik und humaner Psychologie. Offenbar sind Gesellschaft und Staat noch immer nicht reif genug, vom Obrigkeitsdenken abzusehen.

    Aber dieser Paradigmenwechsel ist längst überfällig. Es ist zu erwarten, dass vieles, was bislang für unmöglich gehalten wurde, plötzlich nicht nur machbar, sondern lebbar werden kann.

    Wo spielt sich der größte Wandel ab, wenn es denn einen solchen gibt?

    NENNEN Der größte Wandel spielt sich in Machtfragen ab. Fast über Nacht sind Politik und Staat ermächtigt worden, die Geschicke der Gesellschaft nicht nur zu bestimmen, sondern auch zu formen. Das wird so bleiben. Die Krise hat uns vor Augen geführt, wie verwundbar unsere Systeme sind. Das Gleichgewicht der Gewalten ist gestört, daher müssen die Gegengewichte stärker werden. Wir brauchen mehr Partizipation, auch Basisdemokratie und vor allem auch mehr Richter und richterliche Unabhängigkeit.

    Zu Beginn der Pandemie wurde viel von neuen Tugenden gesprochen, wie Entschleunigung, bewussteres Wahrnehmen von allem usw. Was wird davon bleiben?

    NENNEN Es war eine heilsame und immer wieder verlängerte Phase der inneren Einkehr. Man konnte die Erfahrung machen, was so alles von den vielen Selbstverständlichkeiten eigentlich auch verzichtbar sein kann. Aber Corona war nicht gleich und schon gar nicht gerecht, es hat die Schwächeren sehr viel härter getroffen. Darauf muss eine Gesellschaft reagieren, und der Staat hat die Aufgabe, ihr dabei zu helfen.

    Gibt es Werte, von denen wir uns trennen sollten?

    NENNEN Einige Haltungen, die zuvor noch Anerkennung fanden, haben sich selbst ad absurdum geführt: Konsumismus ist nicht Freiheit, Neoliberalismus ist nicht Verantwortung, Misanthropismus ist nicht Sorge, Glaubenskriege sind keine Diskurse. Das alles hilft überhaupt nicht, den Weg in eine Zukunft zu finden, in der die Menschheit allmählich den Weg zur Selbstverantwortung finden und gehen sollte.

    Welche Werte sind es wert, beibehalten zu werden?

    NENNEN Die „Werte“, von denen immerzu gesprochen wird, sind oft nicht wirklich die eigenen. Wir alle glauben zu wissen, wie Familienglück, Mutterliebe, wie Jugend, Liebe oder eine romantische Situation perfekt auszusehen haben, und wir alle können uns dabei beobachten, wie wir entscheidende Situationen so inszenieren, dass sie auch tatsächlich „richtig“ aussehen. Kurzum, wir inszenieren uns und unser Leben nach Maßstäben, die nicht die eigenen sind. Ich möchte in meinem Vortrag eine elementare Kritik an der Selbstorientierung, wie sie gerade gelebt wird, vorbringen. Zugleich möchte ich Wege weisen, wie es möglich sein könnte, tatsächlich zu sich selbst zu finden. 

    Was sollte uns die Pandemie gelehrt haben?

    NENNEN Wir sollten endlich gesehen und erkannt haben, wie kostbar menschliche Verbindungen sind und wie sehr es auf Berührungen ankommt, im umfassenden Sinne des Wortes. Das ist meines Erachtens die eigentliche Lehre aus der Pandemie.

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    Technikethik

    Kolloquium 

    Technikethik

    Technische Entwicklungen kontrovers reflektieren

    SS 2021 | donnerstags | 14:00–15:30 | Online
    Beginn: 22 April 2021 | Ende: 22. Juli 2021

    Zum Kommentar als PDF

    Von Verantwortung ist immer wieder die Rede. Ja, sie ist vakant und der Lauf der Welt ist alles andere als vertrauenserweckend. Der gute Wille allein genügt nicht. Zu unterscheiden sind mindestens das Subjekt der Verantwortung, der Verantwortungsbereich und die Verantwortungsinstanz, (ehedem Gott und jetzt?).

    Es gilt näher hinzusehen, wenn wir Fragen der Verantwortung angehen wollen, denn der Begriff ist mehrdimensional. Der Karlsruher Technikphilosoph Günter Ropohl hat das Ganze auf eine Formel mit sieben Variablen gebracht: Wer verantwortet was, wofür, weswegen, wovor, wann, wie? Wir müssen doch nicht alles machen, was wir können. Wie weit geht ihre (persönliche) Verantwortung wirklich?

    Dieses Kolloquium soll Fragen der Technikethik praktisch erfahrbar machen. Das wird anhand von Fallstudien aus ihren eigenen zukünftigen Berufsfeldern geschehen, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven diskutieren lassen. Dabei kommt es weniger auf das Ergebnis an, sondern auf die Qualität und den Austausch der vorgebrachten Argumente.

    Betreiben wir also Technikethik ganz konkret. Nehmen wir uns reale Situationen vor: seien es der Abgasskandal, Stellungnahmen zum Einsatz von Genmanipulation, der Einsturz der Brücke in Genua, Unfälle im Rahmen von Fahrten mit autonomen Pkw — oder was immer Sie umtreibt. Tun wir so, als wären wir unmittelbar dabei und hätten etwas zu sagen. Inszenieren wir die Kontroversen, in denen Techniklinien gestaltet werden, um sie am eigenen Leib zu
    erfahren. Die Veranstaltung soll Ihnen dazu dienen, Erfahrungen zu machen, die später womöglich auf Sie zukommen. Es ist dann fast wie ein Privileg, sich später daran zurückerinnern zu können, so etwas Ähnliches schon einmal durchgespielt zu haben.

    Nein, wir müssen es nicht.
    Aber?
    Aber wir werden es machen.
    Und weshalb?
    Weil wir nicht ertragen, wenn der kleinste Zweifel bleibt,
    ob wir es wirklich können.

    (Hans Blumenberg)

    Dirck van Baburen: Prometheus wird von Vulkan angekettet (1623). — Quelle: Public Domain via Wikimedia. — Prometheus, der Gott des Fortschritts, wird auf Geheiß des Zeus, unter Aufsicht des Götterboten Hermes, vom Gott der Technik Vulkan an einen Felsen im Kaukasus geschmiedet. Sein Vergehen: Er hat aus Menschenliebe die Technik zu den Menschen gebracht. Diese sollten darauf den Fortschritt einige Jahrtausende nicht mehr zu Gesicht bekommen.

    Die Zeiten sind vorbei, als Ingenieure und Ingenieurinnen fast jede weitere Verantwortung noch zurückwiesen mit den Worten, sie würden die Technik nur herstellen, seien aber nicht verantwortlich dafür, was daraus würde. — Aber machen wir uns nichts vor, Versuche, den technischen Fortschritt auf ›bessere‹ Bahnen zu lenken, gab es viele. Unvergessen ist das Wort von Ulrich Beck: Die Ethik spielt im Modell der verselbständigten Wissenschaften die Rolle einer Fahrradbremse am Intercontinental Flugzeug. 

    Forderungen nach Ethik, Verantwortung, Technikfolgenabschätzung, nachhaltigem Wachstum und Kilmaschutz werden tagtäglich erhoben und sind nicht unproblematisch, denn es ist auch Überforderung im Spiel. Wofür sind wir als Einzelne verantwortlich und wie soll denn die Gesamtverantwortung wahrgenommen werden? Allmählich wird es Zeit. Wer gibt die Technikziele vor oder generieren sie sich selbst?

    Was viele Verschwörungstheorien noch unterstellen: Es gibt sie nicht, die Schaltzentralen der Macht, in denen die Ziele des Fortschritts vorgegeben, der Kurs eingestellt und die Entwicklungen koordiniert werden. Zweifelsohne spielen Technik und Wirtschaft eine große Rolle, aber auch Politik und Kultur.

    Der blaue Planet ist zur Anthroposphäre geworden. Inzwischen wurde bereits ein neues Erdzeitalter ausgerufen, das Anthropozän. Die Zivilisation ist nunmehr alles entscheidend für das Schicksal des ganzen Planeten und die Zukunft der Menschheit. Die Erde ist zum Raumschiff geworden. Wir rasen durch einen lebensfeindlichen Raum, hinter uns eine erst kurze Episode der Zivilisation und vor uns eine Zukunft, die mit sich selbst auf Kollisionskurs geht.

    Wenn es sie denn gäbe, die Kommando–Brücke, in der die Navigation vorgenommen wird, wenn wir dorthinein gelangen könnten, es wäre der Schock unseres Lebens. Denn die Pilotenkanzel ist leer, alles steht auf Autopilot und niemand wäre in der Lage, den Flug ›von Hand‹ zu steuern. Dabei ist das Ganze keineswegs nur eine Frage der Technik, sondern auch eine von Politik, Wirtschaft, Recht, Kultur, Wissenschaft und vielem anderen mehr.

    Jan Cossiers: Carrying Fire (ca. 1630). Prometheus stiehlt das Feuer aus der Werkstatt des Vulkan. Es ist nicht das Herdfeuer, das hatten die Menschen schon sehr lang. Es ist das Metallurgenfeuer, womit die Bronzezeit begann und
    dann auch die Zivilisation. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Daher genügt es längst nicht mehr, einfach nur ›gute‹ Technik zu machen, Probleme pragmatisch zu lösen, im Sinne des ›state of the art‹ zu entwickeln, Normen und Vorschriften einzuhalten usw. usf. — Darüber hinaus stellt sich vor allem auch die Frage, wie weit denn die persönliche Verantwortung reichen soll. Es ist nicht allein die Technik, die den Fortschritt bestimmt, es sind viele verschiedenen Faktoren, die eine Rolle spielen. — Die Rollen im Mythos vom Prometheus, der den technischen Fortschritt zur Darstellung bringt, lassen die Zusammenhänge erahnen.

    Da ist der Menschenfreund Prometheus, der mit besten Absichten die Entwicklung anfacht, aber eigentlich nicht sehr glücklich agiert. Da ist Vulkan, der Techniker, der alles tut, was ihm aufgetragen wird. Er murrt zwar, als er den geschätzten Kollegen anketten soll, aber er tut es. Da ist Zeus, der ein ambivalentes Verhältnis zur Menschheit hat und daher hin und hergerissen ist über das Prometheus–Projekt. Da ist Athene, die Göttin der Weisheit, die den neuen Zivilisationsmenschen eine Seele einhaucht. Sie spendet auch die Wissenschaft und die Vernunft. Außerdem ist da noch Pandora, die mit allen Gaben Beschenkte, die die Gaben der abdankenden Götter zu den Menschen bringt, aber eben auch die damit verbundenen Übel. Und da ist noch Epimetheus, ein Melancholiker, der sich in Pandora verliebt. — Das dürfte genügen, die verschiedenen Seiten und Interessen zu charakterisieren, die dafür sorgen, daß der Fortschritt eben einen bestimmten Gang nimmt.

    Als der Münchener Soziologie Ulrich Beck im Jahre 1958 den Eintritt in die Risikogesellschaft diagnostizierte, sah er den technisch–ökonomischen Fortschritt überlagert von immer größeren, ungeplanten Nebenfolgen, grenzüberschreitenden Umweltproblemen und globalen Folgen Es gibt inzwischen einen Grad an Komplexität, der sich nicht mehr steuern oder gar beherrschen läßt. Eigentlich müßten alle unsere Innovationen unterhalb dieser Schwelle bleiben, aber das Gegenteil ist der Fall. Also wofür sind Techniker, Ingenieure und Ingenieurinnen wirklich verantwortlich? Welcher Teil der Verantwortung fällt anderen zu?

    Harry Bates: Akt (1891). Auf Geheiß des Zeus wurde von Vulkan eine Frau erschaffen, mit allen Gaben der Götter ausgestattet und von Hermes zu den Menschen gebracht. Sie brachte jedoch nicht nur die Fähigkeiten der Götter, sondern auch die damit verbundenen Übel auf die Erde. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Es ist keine unproblematische Entwicklung, daß in den letzten Jahrzehnten immer mehr Verantwortung auf Einzelne übertragen wurde, während die Gesamtverantwortung sich immer weiter verflüchtigt. Wer verantwortlich sein soll, muß gestalten, muß auch anders entscheiden können, erst dann kann Verantwortung zugeschrieben werden. — Insofern ist der Anspruch auf Ethik und Moral das eine, wie damit ganz praktisch umgegangen werden kann, ist das andere. Sich verantwortlich zu fühlen für Verhältnisse, die nicht in der eigenen Macht stehen, ist daher nicht unproblematisch. Wer Verantwortung übernimmt, muß ›Nein sagen‹ können oder ›So nicht!‹.

    In diesem Seminar sollen solche Konflikte in Wertfragen, Zielkonflikten und der moralischen Integrität durchgespielt werden. Das geschieht anhand von Beispielen einschlägiger Dilemma–Situationen. Mitunter sind die Rahmenbedingungen schon problematisch, etwa wenn es gilt, unter den Bedingungen schlechter Kommunikationsverhältnisse und aus Sorge um die eigene Reputation fachlich kompetent und moralisch integer zu handeln. Dazu bedarf es einiger Erfahrungen, die genauso wichtig sind wie das ganze technische Know–how.

    Dazu hat der Konstanzer Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß eine hilfreiche Unterscheidung geprägt: Zum technischen Verfügungswissen gehört auch ein ebenso wichtiges Orientierungswissen. Das eine sagt uns wie, das andere aber wozu.  — Mitunter geraten aber das Wie und das Wozu in Widersprüche. Die Technikgeschichte ist voll solcher Beispiele, wo erst sehr viel später sich Nebenfolgen mit kolossalen Wirkungen zeigen, bis sie endlich wahrgenommen und thematisiert werden.

    Und natürlich stellt sich immer wieder die Frage, ob es nicht doch eine ›bessere‹ Technik gibt, eine, die von vornherein weniger Nebenfolgen hat. Technikutopien sind daher eine wichtige Orientierungshilfe, vor allem dann, wenn kritisch damit umgegangen wird. Wesentlich ist es, die verschiedenen Aspekte erörtern zu können und nicht zuletzt, andere zu überzeugen. Dazu ist kritisches Denken erforderlich. Daher geht es um die ethische, politische, ökonomische und ökologische Verantwortung im Ingenieurwesen. Erst das macht ›gute‹ Technik möglich, ein ›gutes‹ Gewissen und nicht zuletzt gute Professionalität. 

    Bandicoot Robot: Converting manhole to robohole (2018). — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

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    Philosophische Ambulanz

    Philosophische Ambulanz

    SS 2021 | freitags | 12:00-13:30 Uhr | Raum: online

    Beginn: 23. April 2021 | Ende: 23. Juli 2021

    Zum Kommentar als PDF

    Ferdinand Bart: Der Zauberlehrling, (1882). Zeichnung aus dem Buch Goethe’s Werke, 1882. — Quelle: Public Domain via Wikimedia

    Und sie laufen! Naß und nässer
    Wird’s im Saal und auf den Stufen.
    Welch entsetzliches Gewässer!
    Herr und Meister! hör mich rufen! —
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd ich nun nicht los.
    »In die Ecke,
    Besen! Besen!
    Seid’s gewesen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
    Erst hervor der alte Meister.

    (Goethe: Der Zauberlehrling)

     

    In der Philosophischen Ambulanz kommt die Philosophie wieder zurück auf den Marktplatz, wo Sokrates seine Dispute führte, immer auf der Suche nach einer Philosophie, die es besser aufnehmen kann mit der Wirklichkeit. In den Dialogen und Diskursen der Philosophischen Ambulanz soll es darum gehen, in gemeinsamen Gedankengängen die besseren, höheren und tieferen Einsichten zu gewinnen.

    Verstehen ist Erfahrungssache, Verständigung ist eine Frage der Übung. Oft herrschen aber falsche Vorstellungen vor: Gemeinsames Verstehen entsteht im Dialog und in Diskursen, bei denen es nicht vorrangig um Meinungsäußerungen und Stellungnahmen geht. Es kommt auch nicht darauf an, Recht zu behalten, sich zu behaupten oder etwa vermeintliche ›Gegner‹ mundtot zu machen. — Gewalt entsteht, wo Worte versagen, wenn nicht gesagt und verstanden werden kann, was einem wirklich am Herzen liegt.

    Es kommt viel mehr darauf an, im gemeinsamen Verstehen weiterzukommen, so daß sich die Diskurse anreichern und ihre Sukzession, also einen Fortschritt erreichen. Daher ist es so wichtig, gerade im Konflikt aus einem Dissens heraus wie der zu neuem Einvernehmen zu finden. Erst das macht uns zu mündigen Zeitgenossen, wenn wir auch über die eigene Stellungnahme noch frei verfügen können. — Zu Philosophieren bedeutet, Widersprüche und Ambivalenzen nicht schleunigst aufzulösen, weil sie anstrengend sind. Vielmehr gilt es, das Denken selbst in der Schwebe zu halten. Der Weg ist das Ziel, gerade auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die üblichen Standpunkte zu vertreten, sondern neue und gänzlich unbekannte Perspektiven zu erproben. Daher ist der Positionswechsel von so eminenter Bedeutung. Genau das ist ›Bildung‹, den Standort der Betrachtung wechseln, um eine Stellungnahme ggf. auch aus einer beliebigen anderen Perspektive vornehmen, kommentieren und beurteilen zu können.

    Verstehen ist Erfahrungssache

    Im Philosophischen Café kommt die Philosophie wieder zurück auf den Marktplatz, wo Sokrates seine Dispute führte, immer auf der Suche nach einer Philosophie, die es besser aufnehmen kann mit der Wirklichkeit. In den Dialogen und Diskursen der Philosophischen Ambulanz soll es darum gehen, in gemeinsamen Gedankengängen die besseren, höheren und tieferen Einsichten zu gewinnen.

    Verstehen ist Erfahrungssache, Verständigung ist eine Frage der Übung. Oft herrschen aber falsche Vorstellungen vor: Gemeinsames Verstehen entsteht im Dialog und in Diskursen, bei denen es um nicht vorrangig um Meinungsäußerungen und Stellungnahmen geht. Es kommt auch nicht darauf an, Recht zu behalten, sich zu behaupten oder etwa vermeintliche ›Gegner‹ mundtot zu machen. — Gewalt entsteht, wo Worte versagen, wenn nicht gesagt und verstanden werden kann, was einem wirklich am Herzen liegt. Es kommt vielmehr darauf an, im gemeinsamen Verstehen weiterzukommen, so daß sich die Diskurse anreichern und ihre Sukzession, also einen tatsächlichen Fortschritt im Verstehen erreichen.

    Daher ist es so wichtig, gerade im Konflikt aus einem Dissens heraus wieder zu neuem Einvernehmen zu finden. Erst das macht uns zu mündigen Zeitgenossen, wenn wir auch über die eigene Stellungnahme noch frei verfügen können. — Zu Philosophieren bedeutet, Widersprüche und Ambivalenzen nicht schleunigst aufzulösen, weil sie anstrengend sind. Vielmehr gilt es, das Denken selbst in der Schwebe zu halten. Der Weg ist das Ziel, gerade auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die üblichen Standpunkte zu vertreten, sondern neue und gänzlich unbekannte Perspektiven zu erproben. Daher ist der Positionswechsel von so eminenter Bedeutung. Genau das ist ›Bildung‹, den Standort der Betrachtung wechseln, um eine Stellungnahme ggf. auch aus einer beliebigen anderen Perspektive vornehmen, kommentieren und beurteilen zu können.

    Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource. Wir müssen selbst entscheiden, wann wir etwas auf sich beruhen lassen, für welche Themen wir offen sind, und wofür wir uns wirklich brennend interessieren. Die Zunahme an Informationen ist dabei von erheblicher Bedeutung, denn sie führt gegenwärtig ganz offenbar zu Überforderungen. Alles könnte man wissen, aber jedes Wissen ist eigentlich unsicherer denn je.

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    Das erschöpfte Selbst

    Oberseminar:

    Das erschöpfte Selbst — Die Psyche und die Narrative

    Donnerstags | 12:00-13:30 Uhr | Raum: online

    Beginn: 15. April 2021 | Ende: 22. Juli 2021

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    Es gilt, ein multiples Selbst und Multiperspektivität zu entwickeln. Denn wenn wir den bisherigen Verlauf der Psychogenese in die Zukunft verlängern, dann werden weitere Internalisierungen folgen.

    Das werden vor allem auch solche sein, die Probleme bereiten, weil sie immer mehr miteinander im Hader liegen wie Priester und Ketzer, wie Schamanen und Wissenschaftler, wie Natur– und Kulturwissenschaften. — Es wird ganz gewiß nicht einfacher, sondern komplizierter, wenn nunmehr weitere widersprüchliche Figuren und Narrative hinzukommen, so, wie wir inzwischen fast den ganzen Götterhimmel in uns haben als Teil unserer Psyche.

    Nicht nur die soziale Außenwelt, sondern auch die psychischen Innenwelten differenzieren sich im Verlauf der Kulturgeschichte immer weiter aus. Wenn die Welt, weniger die natürliche Umwelt, als vielmehr die soziokulturelle zweite Natur, immer komplexer wird, dann steigen die Anforderungen, wirklich noch zu verstehen, was eigentlich gespielt wird.

    Es sollte daher möglich sein, die inhärente Dialektik verschiedener Perspektiven mit allen einschlägigen Differenzen ganz bewußt in Dienst zu nehmen, um sodann selbst denken und sich an die Stelle eines jeden anderen versetzen zu können, um schließlich im Bewußtsein aller dieser unterschiedlichen Stimmen aufzutreten.

    Vorgestellt wird uns Narziß als ein anmutiger allseits begehrter Jüngling, nur daß dieser, ganz anders als der noch anmutige Jüngling im Marionettentheater von Kleist, auch im weiteren Verlauf seiner Jugend rein gar nichts von seiner Anmut einbüßt. Man könne ihn als ein Bild der närrischen Eigenliebe ansehen, nach welcher einer andere Leute verachtet, endlich aber ein Narr werde, und selbst vergeht, heißt es im gründlichen mythologischen Lexikon von Benjamin Hederich, das bereits Goethe, Schiller und Kleist inspiriert hat.

    Bei Ovid erfahren wir sein doch recht jugendliches Alter, Narziß habe soeben eines zu fünfzehn Jahren hinzu gefügt und könne ebenso noch als Knabe erscheinen aber auch bereits als Jüngling. Wir haben es also mit einem recht jungen Menschen zu tun, und verwunderlich ist eigentlich, daß allen Ernstes erwartet wird, dieser solle sich in diesem Alter bereits zu irgendeiner Liebe bekennen.

    Übertragen in unsere Gegenwart müßten wir protestieren und anführen, daß ein halbes Kind sehr wohl auch sein Recht auf einen Rest Kindheit, auf Jugendlichkeit, Ungebundenheit, auch auf Selbstverliebtheit habe und daß nicht erwartet und schon gar nicht gefordert werden solle, er möge alsbald den sogenannten Ernst des Lebens oder gar der Gründung einer Familie ins Auge zu fassen. — Aber unterstellen wir weiterhin, der Mythos wolle uns anhand des Narziß etwas anderes vor Augen führen, gestehen wir ihm also zu, wogegen wir durchaus Einspruch erheben könnten.

     

    Warum es einen solchen Mythos geben muß, der uns den Narzißmus näher vor Augen führt, läßt sich anhand einer Nebenbemerkung bei Ovid zumindest erahnen, es ist die ›Neuheit des Wahnsinns‹ bei Narziß, darin läge dann also das eigentliche Motiv für diesen Mythos.

    Am Anfang steht der geheimnisvolle Spruch des Sehers, der noch aus der Kinderzeit stammt, der über lange Zeit nicht in Erfüllung gehen sollte: »Wenn er sich nicht kennt!« sei ihm ein langes Leben beschieden, hatte Theresias vorhergesagt.

    “Lang schien eitel und leer sein Ausspruch. Doch ihn bewähren That und Erfolg und die Art des Tods und die Neuheit des Wahnsinns.” (Ovid: Metamorphosen)

    Diese ›Neuheit des Wahnsinns‹ wäre demnach der eigentliche Anlaß, warum es diesen Mythos, warum es Narziß hatte geben müssen, um zu demonstrieren, daß etwas in seiner Entwicklung schief gegangen ist, was nicht schief gehen sollte. — Der neuartige Wahnsinn sollte nun justament in dem Augenblick ausbrechen, als sich Narziß doch noch selbst kennen lernen sollte.

    Es scheint zugleich, als wolle der Mythos auch protestieren, als sei er gegen irgendetwas Neues gerichtet, vor dessen Folgen hier gewarnt werden soll, anhand eines schlimmen Fallbeispiels. — Wenn dem so wäre, daß der Mythos selbst und seine Autorintention einer Epoche entstammt, in der das, wovor hier gewarnt werden soll, noch gar nicht bekannt war, so daß es Befürchtungen gab, gegen die sich das mythische Modell des Narziß richten sollte, dann steht vermutlich im Hintergrund die Erfahrung eines einschneidenden kulturellen Wandels.

     

    Wir haben es hier also vermutlich mit einem entscheidenden Schritt im Prozeß der Psychogenese zu tun. —  Die Neuheit des Wahnsinns von Narziß läge demzufolge darin, nicht mehr einfach wie üblich von Liebe ergriffen zu werden, als willenloses Objekt eines Angriffs des Heckenschützen Amor, der, selbst noch ein verantwortungsloses Kind, einfach mit Liebesfeilen nur so um sich schießt und der nicht selten auch Zeus zu allen erdenklichen Eskapaden verleitet.

    Wir hätten dann im Narziß einen angehenden jungen Mann vor uns, der sich das Urteil darüber, in wen er sich verliebt und ob überhaupt, selbst vorbehält. Auch das wäre eine Lesart, wobei die Neuartigkeit des Wahnsinns, die Unverschämtheit aus der Perspektive der Alten zweifelsohne im Anspruch auf Individualität liegt.

    Narziß wäre einer, der sich nicht so einfach ergreifen läßt, der sich seine Kindheit und seine Jugendlichkeit bewahrt. — Narziß dürfte demnach in ganz besonders einem Wesenszug als arrogant, selbstverliebt und auch hochmütig erschienen sein, in seinem Anspruch ein eigenständiges, selbstbestimmtes Individuum sein zu wollen.

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    EPGII

    Oberseminar

    EPG II

    Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II


    SS 2021 | freitags | 14:00-15:30 Uhr | Raum: online 

    Beginn: 23. April 2021 | Ende: 23. Juli 2021

    Zum Kommentar als PDF

    Universe333: YogaBeyond Honza & Claudine Bondi; Beach, Australia 2013. — Quelle: Public Domain via Wikimedia Commons.

    Zwischen den Stühlen

    Eine Rolle zu übernehmen bedeutet, sie nicht nur zu spielen, sondern zu sein. Wer den Lehrerberuf ergreift, steht gewissermaßen zwischen vielen Stühlen, einerseits werden höchste Erwartungen gehegt, andererseits gefällt sich die Gesellschaft in abfälligen Reden. — Das mag damit zusammenhängen, daß jede(r) von uns eine mehr oder minder glückliche, gelungene, vielleicht aber eben auch traumatisierende Schulerfahrung hinter sich gebracht hat.

    Es sind viele potentielle Konfliktfelder, die aufkommen können im beruflichen Alltag von Lehrern. Daß es dabei Ermessenspielräume, Handlungsalternativen und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eigenen Ideale mit ins Spiel zu bringen, soll in diesem Seminar nicht nur thematisiert, sondern erfahrbar gemacht werden.

    Das Selbstverständnis und die Professionalität sind gerade bei Lehrern ganz entscheidend dafür, ob die vielen unterschiedlichen und mitunter paradoxen Anforderungen erfolgreich gemeistert werden: Es gilt, bei Schülern Interesse zu wecken, aber deren Leistungen auch zu bewerten. Dabei spielen immer wieder psychologische, soziale und pädagogische Aspekte mit hinein, etwa wenn man nur an Sexualität und Pubertät denkt. — Mitunter ist es besser, wenn möglich, lieber Projekt–Unterricht anzuregen, wenn kaum mehr was geht.

    Es gibt klassische Konfliktlinien, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht selten die eigenen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hineinspielen. Aber auch interkulturelle Konflikte können aufkommen. Das alles macht nebenher auch Kompetenzen in der Mediation erforderlich. — Einerseits wird individuelle Förderung, Engagement, ja sogar Empathie erwartet, andererseits muß und soll gerecht bewertet werden. Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund, daß dabei Lebenschancen zugeteilt werden.
    Gerade in letzter Zeit sind gestiegene Anforderungen bei Inklusion und Integration hinzugekommen. Auch Straf– und Disziplinarmaßnahmen zählen zu den nicht eben einfachen Aufgaben, die allerdings wahrgenommen werden müssen. — Ein weiterer, immer wieder akuter und fordernder Bereich ist das Mobbing, das sich gut ›durchspielen‹ läßt anhand von Inszenierungen.

    Es gibt nicht das einzig richtige professionelle Verhalten, sondern viele verschiedene Beweggründe, die sich erörtern lassen, was denn nun in einem konkreten Fall möglich, angemessen oder aber kontraproduktiv sein könnte. Pädagogik kann viel aber nicht alles. Bei manchen Problemen sind andere Disziplinen sehr viel erfahrener und auch zuständig. — Unangebrachtes Engagement kann selbst zum Problem werden.

    Wichtig ist ein professionelles Selbstverständnis, wichtig ist es, die eigenen Grenzen zu kennen, und mitunter auch einfach mehr Langmut an den Tag zu legen. Zudem werden die Klassen immer heterogener, so daß der klassische Unterricht immer seltener wird. — Inklusion, Integration oder eben Multikulturalität gehören inzwischen zum Alltag, machen aber Schule, Unterricht und Lehrersein nicht eben einfacher.

    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit setzen zwar hohe Erwartungen in Schule und Lehrer, gefallen sich aber zugleich darin, den ganzen Berufstand immer wieder in ein unvorteilhaftes Licht zu rücken. — Unvergessen bleibt die Bemerkung des ehemaligen Kanzlers Gehard Schröder, der ganz generell die Lehrer als faule Säcke bezeichnet hat.

    „Ihr wißt doch ganz genau, was das für faule Säcke sind.“

    Dieses Bashing hat allerdings Hintergründe, die eben darin liegen dürften, daß viel zu viele Schüler*innen ganz offenbar keine guten Schulerfahrungen gemacht haben, wenn sie später als Eltern ihrer Kinder wieder die Schule aufsuchen.

    Ausbildung oder Bildung?

    Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grundlagenstudium (EPG) obligatorischer Bestandteil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modulen, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünftige LehrerInnen für wissenschafts– und berufsethische Fragen zu sensibilisieren und sie dazu zu befähigen, solche Fragen selbständig behandeln zu können. Thematisiert werden diese Fragen im Modul EPG II.

    Um in allen diesen Konfliktfeldern nicht nur zu bestehen, sondern tatsächlich angemessen, problembewußt und mehr oder minder geschickt zu agieren, braucht es zunächst einmal die Gewißheit, daß immer auch Ermessens– und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Im Hintergrund stehen Ideale wie Bildung, Entfaltung der Persönlichkeit, die Erfahrung erfüllender Arbeit und Erziehungsziele, die einer humanistischen Pädagogik entsprechen, bei der es eigentlich darauf ankäme, die Schüler besser gegen eine Gesellschaft in Schutz zu nehmen, die immer fordernder auftritt. In diesem Sinne steht auch nicht einfach nur Ausbildung, sondern eben Bildung auf dem Programm.

    Auf ein– und dasselbe Problem läßt sich unterschiedlich reagieren, je nach persönlicher Einschätzung lassen sich verschiedene Lösungsansätze vertreten. Es ist daher hilfreich, möglichst viele verschiedene Stellungnahmen, Maßnahmen und Verhaltensweisen systematisch durchzuspielen und zu erörtern. Dann läßt sich besser einschätzen, welche davon den pädagogischen Idealen noch am ehesten gerecht werden.

    So entsteht allmählich das Bewußtsein, nicht einfach nur agieren und reagieren zu müssen, sondern bewußt gestalten zu können. Nichts ist hilfreicher als die nötige Zuversicht, in diesen doch sehr anspruchsvollen Beruf nicht nur mit Selbstvertrauen einzutreten, sondern auch zuversichtlich bleiben zu können. Dabei ist es ganz besonders wichtig, die Grenzen der eigenen Rolle nicht nur zu sehen, sondern auch zu wahren.

    Stichworte für Themen

    #„ADHS“ #Aufmerksamkeit #Bewertung in der Schule #Cybermobbing #Digitalisierung #Disziplinarmaßnahmen #Elterngespräche #Erziehung und Bildung #Genderdiversity #Heldenreise und Persönlichkeit in der Schule #Inklusion #Interesse–Lernen–Leistung #Interkulturelle Inklusion #Islamismus #Konflikte mit dem Islam in der Schule #Konfliktintervention durch Lehrpersonen #LehrerIn sein #Lehrergesundheit #Medieneinsatz #Medienkompetenz #Mitbestimmung in der Schule #Mobbing #Online-Unterricht #Political Correctness #Professionelles Selbstverständnis #Projektunterricht #Pubertät #Referendariat #Respekt #Schule und Universität #Schulfahrten #Schulverweigerung #Sexualität und Schule #Strafen und Disziplinarmaßnahmen #Ziviler Ungehorsam

    Studienleistung

    Eine regelmäßige und aktive Teilnahme am Diskurs ist wesentlich für das Seminargeschehen und daher obligatorisch. — Studienleistung: Gruppenarbeit, Präsentation und Hausarbeit.

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    Karlsruher Philosoph erkennt mit Corona Zeitenwende

    „Es ist phänomenal, was sich dieser Tage ereignet“

    Der am KIT forschende Philosophie-Professor Heinz-Ulrich Nennen sieht mit Corona eine neue Zeit angebrochen

    Die Corona-Krise ist zu einem der aktuellen Forschungsschwerpunkt des am KIT tätigen Philosophie-Professors Heinz-Ulrich Nennen geworden. Der Geisteswissenschaftler untersucht die Auswirkungen der weltweiten Viruskrise auf den Umgang der Menschen untereinander und die Moralvorstellungen.

    Interview mit Wolfgang Voigt. In: Badische Neueste Nachrichten, 8. Mai 2020. 

    Der Philosoph Heinz-Ulrich Nennen erkennt in der Corona-Krise den Beginn einer neuen Zeit.

    Wie wirkt die Corona-Krise auf das Leben der Menschen, wie auf Moralvorstellungen und den Umgang miteinander? Die Beschäftigung mit solchen Fragen nennt der am KIT tätige Philosophie-Professor Heinz-Ulrich Nennen, „Philosophie in Echtzeit“. Mit dem Geisteswissenschaftler sprach BNN-Redakteur Wolfgang Voigt.

    Laut Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bedeutet die Würde des Menschen nicht notwendig, dass alles andere hinter dem Schutz von Leben zurücktreten muss. Eine haltbare These?

    Heinz-Ulrich Nennen: Der Bundestagspräsident hat kraft seines Amtes und vielleicht auch vor dem Hintergrund seines persönlichen Schicksals, Attentatsopfer geworden zu sein, einen ziemlich unspektakulären Gedanken in die überhitzte Debatte geworfen.

    Wir haben Güterabwägungen vorzunehmen, und seit wir die Götter in vielem beerbt haben, umso mehr. Wolfgang Schäuble hat einen Impuls gesetzt, und das war gut. Ich werde nie vergessen, wie mein Doktorvater, Professor Wilhelm Goerdt, der in Russland in Gefangenschaft war, reagierte, als ich ihm die Dringlichkeit einer ökologischen Wende darstellen wollte: „Schließlich geht es ja um unser aller Leben!“

    Er sagte ungerührt und ziemlich fest: „Ist das alles?“ Mir gab das zu denken. Um es mit Schiller zu sagen: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht, der Übel größtes aber ist die Schuld.“

    Ist die Rettung des Wirtschaftslebens angesichts der Lebensgefahr für Risikogruppen also ein legitimes Anliegen?

    Die Engführung, entweder Wirtschaft oder Tod, ist tendenziös. Aber in der Tat hat die Wirtschaft nie einen Hehl daraus gemacht, einer absurden Theorie vom Markt als freier Wildbahn zu frönen. Die Politiker, insbesondere die Kanzlerin, die zu der Entscheidung gekommen ist, den Not–Aus–Schalter zu betätigen, waren der Auffassung, das einzig Richtige zu tun. Es ist eine Schock-Starre, die darauf eingetreten ist.

    Zweifelsohne ist mit der Corona–Krise ein Paradigmenwechsel vonstatten gegangen. Die Politik war bislang die Magd der Wirtschaft, wie es einst die Philosophie der Theologie gegenüber war. Und urplötzlich ist die Politik die unumstrittene Herrin im Haus.

    Sehen Sie Anzeichen für einen moralischen Fortschritt, der sich durch die Krise einstellt? Wenn ja, wie sieht er aus?

    Die Welt danach wird eine andere sein. Es gibt drei mögliche Szenarien: ein autoritäres, eines, das allen Ernstes glaubt, man könnte zum vormaligen Alltag zurückkehren, und ein drittes Szenario, das den Kairos, also den glücklichen Augenblick, beim Schopf ergreifen will.

    Unterm Strich sehe ich schon einen moralischen Fortschritt, weil das bisherige Verständnis von Politik kollabieren muss. Das mittelalterliche Bild vom Guten Hirten mit einer Herde, die der Führung bedarf, wird durch die Krise überholt. Es war immer schon inhuman, den Menschen als solchen zu verachten und ihm gar keine Chancen zu geben, sich selbst zu verbessern.

    Wir sind also Zeugen einer Zeitenwende?

    Es ist phänomenal, was sich dieser Tage ereignet. Vielleicht ist es in der Tat eine Epochen-Wende, mindestens ist es der Übergang in eine Politik, die sehr viel mehr Mitbestimmung möglich machen wird. Das ist auch meine Fundamental-Kritik an der Politik in der Corona–Krise.

    Das Virus mag gefährlich sein. Aber die Eingriffe in Grundrechte und das damit dokumentierte Misstrauen in die Mündigkeit und das Verantwortungsbewusstsein der Bürger ist eine Herabsetzung sondergleichen.

    Wie beurteilen Sie den Umstand, dass die Corona-Maßnahmen rasant getroffen wurden, während sich beim Klimaschutz seit Jahren eher wenig tut?

    Greta Thunberg hat zweimal eine Verwünschung ausgesprochen, in New York und in Davos: „I Want You to be in Panic!“ Genau das ist geschehen, nur anders als gedacht. Im Hintergrund steht ein neuer Generationenvertrag.

    Dabei ist es bemerkenswert, dass man mit der Generation der Jüngeren gar nicht erst spricht. Aber angesichts von Corona lässt sich konstatieren, dass die Generation der Jüngeren ihre Rücksicht nimmt, um der Generation der Älteren, die ihrerseits Rücksicht nehmen sollte, das möglichst lange Leben nicht zu gefährden.

    Dieser Hintergrund jedenfalls ist eine Ironie der Geschichte, und es spricht Bände, dass sich die Corona-Maßnahmen genau gegen die Jüngeren richten, vor allem auch gegen die Kinder, ohne sie selbst zu Wort kommen zu lassen.

    Gegenwärtig gilt der Primat der Virologen. Kommt da die Philosophie zu kurz?

    Aber gewiss. Was Wolfgang Schäuble angemerkt hat, ist anders von Julian Nida–Rümelin gesagt worden, und Boris Palmer hat es übersetzt in den Jargon der Moralisten: „Sie wollen ja wohl nicht verantwortlich sein für…“ – Dabei ist Palmer bewusst missverstanden worden.

    Es ist enttäuschend, dass die meisten Zeitgenossen den philosophischen Witz bei alledem einfach nicht verstehen. Das Lachen der Weisen ist eben eines, das die Offenheit der Entwicklungen stets mit bedenkt.

    Die Krise hat die System-Relevanz von Pflegekräften, Supermarkt-Personal oder auch Lkw-Fahrern ans Licht gebracht. Braucht es hier eine gesellschaftliche Neubewertung?

    Das ist eine Erkenntnis, die von bleibender Bedeutung sein dürfte. Es ist ja bereits konstatiert worden, dass Applaus ganz nett ist aber nicht genügt. In der Tat wird es Verschiebungen geben. Wichtig ist auch, ob Dividenden ausgeschüttet werden in Konzernen, die sich haben einen Tropf anlegen lassen.

    Die Bankenkrise war insofern eine gute Lektion. Neunmalkluge haben sich damals eine Strategie überlegt, sich vom Staat mit Steuergeldern retten zu lassen, und die Rechnung ist aufgegangen. Danach war alles wie immer, nur schlimmer. So wird es nach der Corona–Krise nicht kommen, denn die alte Welt ist längst untergegangen, es ist nur die Frage, wie sie wiedergeboren wird.

    Welchen Einfluss hat Corona auf Ihre wissenschaftliche Arbeit?

    Ich habe mich entschlossen, ein Buch über den Diskurs der Corona-Krise zu schreiben, wie ich es schon einmal bei einem noch laufenden Skandal gemacht habe, nämlich zur Sloterdijk–Debatte vor rund 20 Jahren.

    Es geht mir dabei um eine bestimmte Methode, die ich „Philosophie in Echtzeit“ genannt habe. Seither schreibe ich an diesem Buch mit dem Titel „Der Corona–Diskurs als Katharsis. Panik, Absturz, Krise und Transformation“.

     

     

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    ,,Bei Krisen rät die Philosophie zu Gelassenheit”

    KIT-Professor Heinz-Ulrich Nennen erkennt im Corona-Virus auch eine Chance zur Bewährung.

    Interview mit Wolfgang Voigt: In Badische Neueste Nachrichten, 7. März 2020.

    Wie beurteilt ein Philosoph die derzeitige Corona-Krise?

    Heinz-Ulrich Nennen ist in diesem Fach seit 2004 als Professor am KIT tätig. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die philosophische Psychologie. Regelmäßig lädt er internationale Koryphäen zum „Philosophischen Salon“, einem renommierten Kolloquium.

    Mit Heinz-Ulrich Nennen sprach BNN-Redakteur Wolfgang Voigt.

     

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    Karlsruher Philosoph kritisiert Corona-Politik

    „Man setzt auf Angst, Zwang, Kontrolle und Druck“

    Philosophie-Professor Heinz-Ulrich Nennen übt heftige Kritik an der herrschenden Politik während der Corona-Krise. Nur bestimmte Perspektiven seien im gesellschaftlichen Diskurs überhaupt zugelassen, beklagt der Geisteswissenschaftler.

    Heinz-Ulrich Nennen: Philosoph sieht negatives Menschenbild im Corona-Diskurs. Interview mit Wolfgang Voigt. In: Badische Neueste Nachrichten, 8.12.2020.

    Heinz-Ulrich Nennen lehrt als Philosoph am KIT und hat die Corona-Pandemie sowie den Umgang mit ihr bereits früh als Forschungsgegenstand entdeckt. Im Gespräch mit BNN-Redakteur Wolfgang Voigt kritisiert Nennen die aktuelle Corona-Politik und erklärt, welche Auswirkungen diese seiner Meinung nach auf die Menschen hat.

     

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    Der Corona-Diskurs als Katharsis

    Heinz–Ulrich Nennen: Philosophie in Echtzeit: Der Corona–Diskurs als Katharsis. Panik, Absturz, Krise und Transformation. (ZeitGeister4); Hamburg 2021. Titelbild: Wolfgang Ganter: Bacteriality, Work in Progress. Mit freundl. Genehm. durch Wolfgang Ganter, Berlin. (Alle Rechte vorbehalten!)

    Erscheint im Herbst 2021

    Seit Urzeiten waren Menschen fast immer auf Wanderschaft. Aber vor 12.000 Jahren kam die Seßhaftigkeit auf, also Städte, Kriege, Reichtum, Armut, Hochkultur, Luxus, Elend und Epidemien.

    Innerhalb weniger Monate hat sich ein Virus weltweit ausbreiten können. Fast überall wurde der Ausnahmezustand ausgerufen mit tiefen Eingriffen in Grundrechte. Der Shut–Down schien vielen als einzig mögliche Konsequenz, ein Diskurs fand gar nicht erst statt.

    Eine Riege auserwählter Virologen und Epidemiologen insinuierte die Richtlinien der Politik und diese betätigte darauf den Not–Aus–Schalter. Ganze Länder sind seither in Agonie, mit immensen Folgen für die Existenz, die Kultur und nicht zuletzt für die Psyche.

    Dieses Buch wurde Mitte März 2020 in der Absicht begonnen, dem Zeitgeist eine Nasenlänge voraus zu sein, anfangs noch in der Erwartung, die Corona–Krise sei zwar eine lehrreiche Episode, aber bald schon wieder vorüber. Es galt, die Entwicklung im großen Ganzen zu verstehen, was war und sein würde, welche Verluste zu beklagen, welche sozialen, persönlichen, psychologischen und seelischen Katastrophen zu bewältigen sind. Dazu zählen neue Ängste, die bleiben, Traumata, die akut wurden und solche, die neu geschaffen worden sind. — Wie werden wir mit den vielen persönlichen Schicksalen umgehen in der Welt, die nach Corona kommt?

    85% eines Eisbergs liegen unter Wasser, so verhält es sich hier auch. Unsere Diskurse sind oberflächlich, bei weitem nicht umfassend und sie gehen nicht in die Tiefe. Wir haben nur den sichtbaren Teil vor Augen. Es gibt sehr viel mehr, worauf zu achten wäre. Nicht minder entscheidend sind alle erdenklichen weiteren Folgen, kulturelle, existentielle und vor allem auch die psychischen und sozialen Nebenwirkung sämtlicher Maßnahmen.

    Man bekommt das Ganze gar nicht erst in den Blick. Die herrschende Strategie wird wie üblich als alternativlos hingestellt. Weil viele Ängste im Spiel sind, wird fast alles mit einer Schicksalsergebenheit hingenommen, die gar nicht angebracht ist. — Auch wird immer wieder konstatiert, man dürfe Menschenleben nicht aufrechnen, aber genau das geschieht die ganze Zeit. Es werden andauernd heikle Entscheidungen in Ziel– und Wertkonflikten gefällt aber nicht offengelegt.

    Es fehlt das Gespür für die angemessene Art, ergebnisoffene Debatten zu führen. Unsere Gesprächskultur hat sich im Zuge der Krise weiter verschlechtert. Mehr denn je wird Gesinnungskontrolle betrieben, Verunglimpfungen sind fast schon salonfähig geworden. Viele sind eingeschüchtert und wagen gar nicht mehr, sich überhaupt noch zu äußern. Wir haben viel zu wenig Phantasie und Diversität in den Debatten, weil ständig mit Exkommunikation bedroht wird, wer auch nur Anstalten macht, in Alternativen zu denken. — Man kann allerdings die Maßnahmen kritisch sehen, ohne Corona zu leugnen. Die Kurzformel von den Corona–Leugner oder gar von den Covidioten, Aluhut–Trägern und die Diffamierung jedweder Kritik ist zutiefst undemokratisch. Das alles sind keine Anzeichen für einen moralischen Fortschritt, ganz im Gegenteil.

    Die monatelange Engführung der Debatten ist verheerend, so kann gar keine Vernunft in den Diskursen aufkommen. Nur bestimmte Perspektiven sind überhaupt zugelassen. Wer anderes anspricht, läuft Gefahr, exkommuniziert zu werden. Es ist ein Klima der Einschüchterung entstanden, dabei käme es darauf an, alle erdenklichen Alternativen offen und öffentlich zu diskutieren. — Das gilt insbesondere für Restaurants und Kultureinrichtungen, die längst bewiesen haben, daß sie es können. Man läßt sie nicht, warum?

    ›Sorge‹ ist oft gar nicht so selbstlos, wie sie sich gibt. Sie spiegelt sich gern selbst und glaubt, unverzichtbar zu sein. Dabei steht sie der tatsächlichen Entwicklung nur im Wege. Die Politik möchte ganz offenbar nichts von der neu hinzugewonnenen Macht wieder abgeben. Dagegen spricht neben der Gewaltenteilung ein weiteres Prinzip, die Gewalt staatlicher Macht einzuschränken, die Subsidiarität. — Demnach wird ein Problem generell zunächst auf der untersten Ebene gelöst, also individuell, familiär oder in der Gemeinde. Erst dann, wenn diese Möglichkeiten erschöpft sind, sollen, dürfen und müssen staatliche Institutionen eingreifen.

    Für viele gibt es ausschließlich die Kategorien Richtig und Falsch. Was bedeutet diese Polarisierung für das Funktionieren der Gesellschaft? Das Beharren auf diese Unterscheidung entspricht einer bestimmten Entwicklungsstufe bei Kindern. Das Differenzierungsvermögen ist dann noch nicht so weit entwickelt. Tatsächlich ist aber erst dann die Übernahme persönlicher Verantwortung möglich. Je weniger Regeln vorgegeben sind, sondern nur noch Prinzipien, umso mehr muß man schon selbst sehen, was jeweils angemessen ist, auch auf die Gefahr hin, danebenzuliegen.

    Die schwarze Pädagogik setzte da noch ganz auf Strafen, was nur dazu führt, die Intelligenz herauszufordern. Dann werden Regeln nicht aus eigenen Motivation eingehalten, sondern nur, weil man nicht erwischt werden möchte. So wird genau derjenige Untertanengeist erzeugt, den wir eigentlich hatten überwinden wollen. Schwarze Pädagogik, die mit Zwang und Strafe operiert, ist seit Jahrzehnten passé. Aber in Politik und Staat sind die alten Zöpfe aus dem Kaiserreich offenbar noch immer nicht abgeschnitten. — Selbstverantwortung ist eine Frage der Kultur, sie muß eingeübt und dann ausgeübt werden, weil man ganz gewiß immer mal an Grenzen stößt, über die die Entwicklung hinausführen muß.

    Viel halten es aber nervlich nicht aus, sich selbst zu orientieren und das Denken in der Schwebe zu halten. Manche sehen sogar eine Schwäche darin, wenn nicht sofort entschieden und gehandelt wird, egal wie. Aber die, die das eilige Handeln versprechen, verfolgen oft ganz andere Interessen. — Noch immer herrscht die Vorstellung vor, beim Diskutieren ginge es ums Hauen und Stechen. Dabei fehlt das Lächeln der Weisen und die Freude daran, gemeinsam ein neues Denken zu entwickeln, um damit sehr viel mehr zu verstehen als jemals zuvor.

     

     

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    Philosophische Ambulanz

    Philosophische Ambulanz

    WS 2020 | freitags | 12:00-13:30 Uhr | Raum: online

    Beginn: 6. Nov. 2020 | Ende: 19. Febr. 2020

    Anmeldung beim House of Competence

    Zum Kommentar als PDF

    Ferdinand Bart: Der Zauberlehrling, (1882). Zeichnung aus dem Buch Goethe’s Werke, 1882. — Quelle: Public Domain via Wikimedia

    Und sie laufen! Naß und nässer
    Wird’s im Saal und auf den Stufen.
    Welch entsetzliches Gewässer!
    Herr und Meister! hör mich rufen! —
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister,
    Werd ich nun nicht los.
    »In die Ecke,
    Besen! Besen!
    Seid’s gewesen.
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
    Erst hervor der alte Meister.

    (Goethe: Der Zauberlehrling)

     

    In der Philosophischen Ambulanz kommt die Philosophie wieder zurück auf den Marktplatz, wo Sokrates seine Dispute führte, immer auf der Suche nach einer Philosophie, die es besser aufnehmen kann mit der Wirklichkeit. In den Dialogen und Diskursen der Philosophischen Ambulanz soll es darum gehen, in gemeinsamen Gedankengängen die besseren, höheren und tieferen Einsichten zu gewinnen.

    Verstehen ist Erfahrungssache, Verständigung ist eine Frage der Übung. Oft herrschen aber falsche Vorstellungen vor: Gemeinsames Verstehen entsteht im Dialog und in Diskursen, bei denen es nicht vorrangig um Meinungsäußerungen und Stellungnahmen geht. Es kommt auch nicht darauf an, Recht zu behalten, sich zu behaupten oder etwa vermeintliche ›Gegner‹ mundtot zu machen. — Gewalt entsteht, wo Worte versagen, wenn nicht gesagt und verstanden werden kann, was einem wirklich am Herzen liegt.

    Es kommt viel mehr darauf an, im gemeinsamen Verstehen weiterzukommen, so daß sich die Diskurse anreichern und ihre Sukzession, also einen Fortschritt erreichen. Daher ist es so wichtig, gerade im Konflikt aus einem Dissens heraus wie der zu neuem Einvernehmen zu finden. Erst das macht uns zu mündigen Zeitgenossen, wenn wir auch über die eigene Stellungnahme noch frei verfügen können. — Zu Philosophieren bedeutet, Widersprüche und Ambivalenzen nicht schleunigst aufzulösen, weil sie anstrengend sind. Vielmehr gilt es, das Denken selbst in der Schwebe zu halten. Der Weg ist das Ziel, gerade auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die üblichen Standpunkte zu vertreten, sondern neue und gänzlich unbekannte Perspektiven zu erproben. Daher ist der Positionswechsel von so eminenter Bedeutung. Genau das ist ›Bildung‹, den Standort der Betrachtung wechseln, um eine Stellungnahme ggf. auch aus einer beliebigen anderen Perspektive vornehmen, kommentieren und beurteilen zu können.

    Verstehen ist Erfahrungssache

    Im Philosophischen Café kommt die Philosophie wieder zurück auf den Marktplatz, wo Sokrates seine Dispute führte, immer auf der Suche nach einer Philosophie, die es besser aufnehmen kann mit der Wirklichkeit. In den Dialogen und Diskursen der Philosophischen Ambulanz soll es darum gehen, in gemeinsamen Gedankengängen die besseren, höheren und tieferen Einsichten zu gewinnen.

    Verstehen ist Erfahrungssache, Verständigung ist eine Frage der Übung. Oft herrschen aber falsche Vorstellungen vor: Gemeinsames Verstehen entsteht im Dialog und in Diskursen, bei denen es um nicht vorrangig um Meinungsäußerungen und Stellungnahmen geht. Es kommt auch nicht darauf an, Recht zu behalten, sich zu behaupten oder etwa vermeintliche ›Gegner‹ mundtot zu machen. — Gewalt entsteht, wo Worte versagen, wenn nicht gesagt und verstanden werden kann, was einem wirklich am Herzen liegt. Es kommt vielmehr darauf an, im gemeinsamen Verstehen weiterzukommen, so daß sich die Diskurse anreichern und ihre Sukzession, also einen tatsächlichen Fortschritt im Verstehen erreichen.

    Daher ist es so wichtig, gerade im Konflikt aus einem Dissens heraus wieder zu neuem Einvernehmen zu finden. Erst das macht uns zu mündigen Zeitgenossen, wenn wir auch über die eigene Stellungnahme noch frei verfügen können. — Zu Philosophieren bedeutet, Widersprüche und Ambivalenzen nicht schleunigst aufzulösen, weil sie anstrengend sind. Vielmehr gilt es, das Denken selbst in der Schwebe zu halten. Der Weg ist das Ziel, gerade auch beim Philosophieren.

    Es gilt, nicht nur die üblichen Standpunkte zu vertreten, sondern neue und gänzlich unbekannte Perspektiven zu erproben. Daher ist der Positionswechsel von so eminenter Bedeutung. Genau das ist ›Bildung‹, den Standort der Betrachtung wechseln, um eine Stellungnahme ggf. auch aus einer beliebigen anderen Perspektive vornehmen, kommentieren und beurteilen zu können.

    Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource. Wir müssen selbst entscheiden, wann wir etwas auf sich beruhen lassen, für welche Themen wir offen sind, und wofür wir uns wirklich brennend interessieren. Die Zunahme an Informationen ist dabei von erheblicher Bedeutung, denn sie führt gegenwärtig ganz offenbar zu Überforderungen. Alles könnte man wissen, aber jedes Wissen ist eigentlich unsicherer denn je.