• Anthropologie,  Identität und Individualismus,  Lehre,  Moderne,  Religion,  Zeitgeist

    EPG II

    Oberseminar: Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

    SS 2019 | freitags | 14:00-15:30 Uhr | Raum: 30.91-009

    Beginn: 27. April 2019 | Ende: 27. Juli 2019

     

    Universe333: YogaBeyond Honza & Claudine Bondi; Beach, Australia 2013. — Quelle: Public Domain via Wikimedia Commons.

    Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grundlagenstudium (EPG) obligatorischer Bestandteil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modulen, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünftige LehrerInnen für wissenschafts– und berufsethische Fragen zu sensibilisieren und sie dazu zu befähigen, solche Fragen selbständig behandeln zu können. Thematisiert werden diese Fragen im Modul EPG II.

    Um in allen diesen Konfliktfeldern nicht nur zu bestehen, sondern tat sächlich angemessen, problembewußt und mehr oder minder geschickt zu agieren, braucht es zunächst einmal die Gewißheit, daß immer auch Ermessens– und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Im Hintergrund stehen Ideale wie Bildung, Entfaltung der Persönlichkeit, die Erfahrung erfüllender Arbeit und Erziehungsziele, die einer humanistischen Pädagogik entsprechen, bei der es eigentlich darauf ankäme, die Schüler besser gegen eine Gesellschaft in Schutz zu nehmen, die immer fordernder auftritt. In diesem Sinne steht auch nicht einfach nur Ausbildung, sondern eben Bildung auf dem Programm.

    Auf ein– und dasselbe Problem läßt sich unterschiedlich reagieren, je nach persönlicher Einschätzung lassen sich verschiedene Lösungsansätze vertreten. Es ist daher hilfreich, möglichst viele verschiedene Stellungnahmen, Maßnahmen und Verhaltensweisen systematisch durchzuspielen und zu erörtern. Dann läßt sich besser einschätzen, welche davon den pädagogischen Idealen noch am ehesten gerecht werden.

    So entsteht allmählich das Bewußtsein, nicht einfach nur agieren und reagieren zu müssen, sondern bewußt gestalten zu können. Nichts ist hilfreicher als die nötige Zuversicht, in diesen doch sehr anspruchsvollen Beruf nicht nur mit Selbstvertrauen einzutreten, sondern auch zuversichtlich bleiben zu können. Dabei ist es ganz besonders wichtig, die Grenzen der eigenen Rolle nicht nur zu sehen, sondern auch zu wahren.

     

    [gview file=”Nennen-EPGII-SS19.pdf” save=”1″]

     

  • Anthropologie,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Moderne,  Motive der Mythen,  Religion,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Der Mensch als Maß?

    Heinz–Ulrich Nennen: Der Mensch als Maß aller Dinge? Über Protagoras, Prometheus und die Büchse der Pandora (ZeitGeister 1); tredition Hamburg 2018. 232 S. – Paperback 16,99 €, ISBN: 978-3-7439-0090-5. Hardcover 26,99 € ISBN: 978-3-7439-0091-2. Erscheinungsdatum: 11.12.2018.

    Pandora ist das Abschiedsgeschenk der abdankenden olympischen Götter, danach kommt nur noch der Mensch. Es sollte keine weitere Dynastie von Göttern mehr geben. — Wir sind werdende Götter in einer Welt, die wir selbst erschaffen haben, für die wir auch ganz allein verantwortlich sind.

    Mit sämtlichen göttlichen Gaben bedacht, ist Pandora die Allegorie aller Verlockungen, wie sie nur zivilisierte Welten bieten. Zugleich bringt sie auch alle damit verbundenen Übel in die Welt. Um die Frage nach dem Warum ranken sich seither viele Meistererzählungen. Grund genug, sie erneut zu befragen, um ›unsere‹ Antworten zu finden.

    Also wie gehen wir um mit unserer Souveränität in Fragen von Moral, Gefühl und Selbstbestimmung? Der Weg führt vom ersten Gewissen bis zur multiplen Identität, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit. — Inzwischen tragen wir die Götter in uns.

    Die Reihe ZeitGeister ist der Psychogenese gewidmet, denn Orientierungswissen ist von zunehmender Bedeutung. Es geht um die neuen Perspektiven einer Philosophischen Psychologie, die in den Meistererzählungen ein uraltes Orientierungswissen findet, das überraschend aktuell ist.

    Wenn der berühmt–berüchtigte Sophist Protagoras von Sokrates um Erläuterung gebeten wird, was man denn nun gegen teures Geld bei ihm erlernen könne, dann zeigt sich ein tiefgreifender Wandel. — Nicht einmal mehr die Einführung ins Erwachsenenleben gehorcht noch der Tradition der Jäger. Die Kultur in den Städten setzt eigene Maßstäbe und bespiegelt sich dabei selbst. Fraglose Maßstäbe sind nicht mehr vorhanden: Der Mensch ist das Maß aller Dinge!

    Protagoras erläutert anhand des Mythos von Prometheus, es mangle nicht an der nötigen Technik, Städte zu errichten. Allein sie zu halten, sei schier unmöglich gewesen. — In der Tat mußte die dringend gebotene Kunst der Politik eigens von Hermes im Auftragdes Zeus nachgereicht werden. Und er, der Sophist, vermittle genaudiese vakanten Kompetenzen.

    Politik ist die Kunst, ständig gegenzusteuern, wenn Gesellschaften wieder einmal aus irgendeinem Gleichgewicht geraten. Die eigentliche ›Wildnis‹, in der es zu bestehen gilt, liegt daher in den Städten. — Seither muß also ›studiert‹ werden. Dann ist es durchaus möglich, Karriere zu machen, auch ohne von Adel zu sein.
    Pandora ist das Abschiedsgeschenk der abdankenden olympischen Götter, danach kommt nur noch der Mensch. Mit sämtlichen göttlichenGaben bedacht, ist sie die Allegorie aller Verlockungen, wie sie nurzivilisierte Welten bieten. Zugleich bringt sie auch alle Übel mit indie Welt, die vorher nicht waren. — Um die Frage nach dem Warum ranken sich seither viele Meistererzählungen. Grund genug, sie erneutzu befragen, um ›unsere‹ Antworten zu finden.

    Philosophie kommt auf, wo Götter schlecht gedacht werden. So entsteht allmählich Souveränität in Fragen von Moral, Gefühl und Selbst. Der Weg führt vom ersten Gewissen bis zur multiplen Identität, immer auf der Suche nach Sinn, Glück und Geborgenheit.

    Die Reihe ZeitGeister ist der bisher kaum bedachten Psychogenese gewidmet, dabei ist Orientierungswissen von zunehmender Bedeutung. Es geht um die neuen Perspektiven einer Philosophischen Psychologie, die in Zweifelsfällen immer wieder auf die Orientierungsorientierung durch Philosophische Anthropologie zurückgreifen kann.

    Alle Bände der Reihe ZeitGeister erscheinen bei tredition – werden aber auch hier sukzessive zum Downloads freigegeben.

     

  • Anthropologie,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Moderne,  Motive der Mythen,  Psyche,  Psychosophie,  Schönheit,  Seele,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Über Narziß, Adoleszenz und Anerkennung

    Der zerbrochene Spiegel

    Wir wissen nicht, was Narziß auf der spiegelnden Wasseroberfläche gesehen haben mag. Der Mythos vom Narziß thematisiert weit mehr als den dummdreisten Narzißmus eines Selbstverliebten; wäre dem so, der Narziß wäre kaum der Rede wert. — Tatsächlich geht es um etwas anderes: Das Geheimnis menschlichen Bewußtseins, das sich selbst spiegelt, um sich seiner selbst gewiß zu werden, ist erst der Anfang einer langen Reise ins eigene Innere.

    Die beiden Hauptfiguren in diesem Mythos haben bemerkenswerte Handikaps, so daß sie einander nicht begegnen können. Alles beginnt mit der Nymphe Echo, die von Zeus animiert worden ist, Hera nach Art der Scheherezade mit unendlichen Geschichten von den Amouren des Gemahls abzulenken, insbesondere wenn dieser wieder einmal bei den Nymphen weilt. Die oft rasend eifersüchtige Hera ist bereits im Begriff, ihren Gatten in flagranti zu überführen, aber die geschwätzige Echo hält sie davon ab, indem sie weiter und weiter redet.

    Nachdem Hera das Spiel durchschaut hat, bestraft sie Echo, die nunmehr erst zu dem wird, was ihr Name bereits über sie aussagt. Es wird der Nymphe genommen, was sie mißbraucht hat, um die Göttin hinters Licht zu führen: Hera nimmt ihr die Fähigkeit eigener Rede, so daß sie nicht mehr von sich aus sprechen, sondern nur wiederholen kann, was sie hört. Von sich aus kann sie fortan gar nicht mehr sprechen, es bleibt ihr nur noch, die letzten Worte lediglich zu wiederholen, — ein fatales Handikap, insbesondere wenn sie dem Narziß ihre Liebe gestehen will.

    Eines Tages wird Narziß auf der Jagd von seinen Gesellen getrennt. Er gerät in eine sonderbare Landschaft am Helikon, die von der Nymphe Echo beseelt wird. Sobald diese den jungen Mann erblickt, wird sie sogleich in Liebe erglühen. Aber sie kann sich nicht äußern, um ihm ihre Liebe zu gestehen. Also folgt sie ihm heimlich, um ihm bei Gelegenheit näher zu kommen…

     

     

  • Anthropologie,  Identität und Individualismus,  Melancholie,  Motive der Mythen,  Religion,  Urbanisierung der Seele,  Vorlesung,  Zeitgeist

    Das erschöpfte Selbst

    Lucas Cranach der Ältere: Melancholie. Nationalgalerie,
    Kopenhagen.<fn>Public domain via Wikimedia Commons.</fn>

    Erläuterungen zur Psychogenese

     

  • Anthropologie,  Ironie,  Moderne,  Zeitgeist

    Philosophie in Echtzeit

    Die Sloterdijk–Debatte: Chronik einer Inszenierung. Über Metaphernfolgenabschätzung, die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der Diskurse

    Am 17. Juli 1999 hielt Peter Sloterdijk im oberbayerischen Schloß Elmau eine Rede mit dem Titel „Regeln für den Menschenpark“ – eine in Inhalt und Form überaus provokante Auseinandersetzung mit Fragen der Gentechnik im allgemeinen und des Klonens im besonderen. In über 1000 Artikeln und Rundfunkbeiträgen sowie zahllosen Leserbriefen artikulierte sich das Unbehagen an Sloterdijks unbequemen, schnell unter Faschismusverdacht gestellten Überlegungen.

    Gerade dieser Skandal hielt sich beträchtlich lang in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Eskalation der Debatte begann, wie so viele zuvor, mit einem Faschismus–Vorwurf, verlief dann aber doch anders und endete eben nicht mit der Exkommunikation. Der Hype um die Sloterdijk–Debatte erreichte seinen Kulminationspunkt mit dem Philosophen–Kongreß in Konstanz und endete, als die Frankfurter Buchmesse eröffnet wurde.

    Die Karawane öffentlicher Aufmerksamkeit war längst weitergezogen, so daß kaum Jemand ein winziges aber entscheidendes Detail noch hätte zur Kenntnis nehmen können. — Nur wer lange genug vor Ort blieb, einfach mit dem Gefühl, das könne noch nicht alles gewesen sein, sollte belohnt werden durch die Information über eine Begebenheit, auf die nur die Wirklichkeit kommt. Das Fazit ist dann auch überraschend mitten aus dem Leben gegriffen.

    Heinz-Ulrich Nennen: Philosophie in Echtzeit. Die Sloterdijk–Debatte: Chronik einer Inszenierung. Über Metaphernfolgenabschätzung, die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der Diskurse. Königshaus & Neumann, Würzburg 2003. [ISBN: 978-3-8260-2642-3] 650 S. 49,80 EU.
    Heinz-Ulrich Nennen: Philosophie in Echtzeit. Die Sloterdijk–Debatte: Chronik einer Inszenierung. Über Metaphernfolgen-abschätzung, die Kunst des Zuschauers und die Pathologie der Diskurse. Königshaus & Neumann, Würzburg 2003. [ISBN: 978-3-8260-2642-3] 650 S. 49,80 EU
    Dieses merkwürdige Detail war zwar schon frühzeitig bekannt, aber nicht ganz. Die inkriminierte Rede war schon zwei Jahre zuvor im Theater zu Basel auf einer Sonntagsmatinee zu Gehör gebracht und mit Gelächter goutiert worden. Die Ironie des ganzen Arrangements, die Spitzfindigkeit dieser Kritik am Humanismus, das Groteske an der These, der Humanismus habe versagt, man müsse nunmehr unter Einsatz der Gentechnik an die Verbesserung, vulgo, an die Züchtung des Menschengeschlechts herangehen, war unter dem Ausdruck großer Heiterkeit vom Publikum aufgenommen worden. Das alles hatte der Redner selbst zu Protokoll gegeben in den vielen Interviews dieser Tage und Wochen.

    Was er jedoch offenbar nicht ohne Hintersinn ganz bewußt zunächst nicht publik gemacht hat, war ein ebenso winziges wie entscheidendes Detail. Darauf hatte niemand kommen können, der nicht dabei gewesen ist oder, der nicht nachrecherchiert hat im Theater zu Basel, was es mit dieser Matinee auf sich gehabt haben könnte. — Sloterdijk hatte höchstselbst berichtet von dieser Veranstaltung, in der er also anwesend gewesen sein muß. Was er aber nicht ausgeplaudert, sondern mutmaßlich ganz bewußt verschwiegen hat, war die nicht unerhebliche Tatsache, daß dieselbe Menschenpark–Rede von Elmau zuvor im Theater zu Basel von einem Schauspieler vorgetragen worden war. Es waren zwar dieselben Worte, aber Redner, Publikum und auch die Kulissen waren wie ausgewechselt. Die Ironie, die Satire und die humane Kritik am Humanismus kam gar nicht mehr oder ganz anders an. Noch dazu waren Berichterstatter vor Ort, die den Skandal suchten und fanden. Sie mißachteten dann auch die Signale der Ironie, sondern sahen und hörten, was sie gesehen und gehört haben wollen.

    Es wäre ein wünschbarer Nebeneffekt dieser Studie, würde es künftig hin und wieder eine derartige Untersuchung in einem ähnlichen „Fall“ geben, nicht zuletzt, um die Qualität der Medien und ihrer Vertreter einmal mehr einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Dabei lassen sich große qualitative Unterschiede feststellen: Es gibt durchaus positive Beispiele auch in dieser Debatte, wo Berichterstatter und Kommentatoren mit gutem Gespür, großem Feingefühl und nicht zuletzt auch mit Sachkenntnis vorgegangen sind. Vorentschiedenheit und beflissentliche Parteilichkeit, gepaart mit Unverständnis, sind dagegen häufig die entscheidenden Faktoren für definitiv schlechte, falsche, möglicherweise bewußt falsche Berichterstattung, mit der niemandem und schon gar nicht der Öffentlichkeit gedient sein kann.

    Die vorliegende Chronik der Sloterdijk-Debatte ist zugleich ein philosophisches Experiment, den Fall einer Skandalisierung einmal bewußt systematisch zu rekonstruieren, um zu beobachten, wie sich Information und Desinformation, Inszenierung und Gegeninszenierung zueinander verhalten, wie sich Öffentlichkeit im Zeitalter ihrer Medienförmigkeit konstituiert, wie sich dabei die Alltagsvernunft ausnimmt und wie es um die Idealität idealer Diskurse bestellt ist, — alles wiederum beobachtet unter Anleitung eines Chronisten und bewertet aus den wechselnden Perspektiven eines Zuschauers, von dem angenommen wird, daß dieser sich auf etwas Besonderes versteht: „Die Kunst des Zuschauers“, erst allmählich herauszubekommen, was eigentlich gespielt wird.

    Heinz-Ulrich Nennen: Philosophie in Echtzeit @ Google Books

    Heinz-Ulrich Nennen: Philosophie in Echtzeit @ Königshausen & Neumann Verlag

    Heinz-Ulrich Nennen: Philosopie in Echtzeit. @ Amazon

     

    [gview file=”https://nennen-online.de/wp-content/uploads/Nennen-Philosophie-in-Echtzeit-Kurzfassung.pdf” save=”1″]

     

    [gview file=”https://nennen-online.de/wp-content/uploads/Nennen-Philosophie-in-Echtzeit-Inhalt.pdf” save=”1″]

     

    [gview file=”https://nennen-online.de/wp-content/uploads/Nennen-Philosophie-in-Echtzeit-Vorwort.pdf” save=”1″]

  • Anthropologie,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Melancholie,  Moderne,  Motive der Mythen,  Religion,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Vorlesung,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Anthropologie der modernen Welt

    Walter Crane: Die Rosse des Neptun. Neue Pinakothek München, Public Domain @ Wikimedia
    Walter Crane: Die Rosse des Neptun. Neue Pinakothek München, Public Domain @ Wikimedia

    Das multible Selbst

    Die Götter der Antike sind wie die Stars unserer Tage, die Sterne von damals sind die Sternchen von heute. Alle ihre einzelnen Fähigkeiten, mit denen sie sich im Verlaufe der Zeit angereichert haben, lassen sich oft noch an den vielen Beinamen erkennen, es sind Spuren vereinnahmter Häuptlingstümer, es sind die Geister von Clans, Landschaften und Kulturen, die längst aufgegangen sind im größeren Ganzen dieser Göttergestalten. Gerade Götter verfügen über multiple Identitäten, daher fällt es ihnen so leicht, in fremder Gestalt aufzutreten, um sich selbst dabei doch treu zu bleiben. Daher beherrschen sie das Spiel mit den Masken. Besonders Zeus wechselt ein ums andere Mal für Liebesabenteuer äußerst spektakulär die eigene Gestalt: Er nähert sich seiner späteren Gattin Hera als durchnäßter, zitternder Kuckuck, als Stier der Europa, als Schwan der Leda, als goldener Regen der Danaë und um den Herakles zu zeugen, verwandelt er sich in Amphitryon, den Gatten der Alkmene.

    Götter wie Zeus beherrschen einfach dieses bedeutende Kunststück, sich auch in fremder Gestalt noch immer selbst treu zu bleiben. Im Prozeß der Zivilisation wird nicht nur die Außenwelt, sondern auch die Innenwelt immer weiter ausdifferenziert. Mit der Zivilisation, Rationalität und Moderne geht daher stets auch ein Prozeß der Psychogenese einher. Götter haben uns dabei stets etwas voraus, sie verkörpern die Ideale, auf die es ankommt. Dementsprechend läßt sich anhand der außerordentlichen Fähigkeiten von Götter die Zukunft der Psyche ablesen. Das nunmehr im Zuge der Psychogenese anstehende multiple Selbst wird seinerseits über diese entscheidende göttliche Fähigkeit verfügen, sich anverwandeln zu können.

    Die klassischen Einwände dagegen, das sei keine Wahrhaftigkeit mehr, sondern eben Inszenierung, es sei keine Authentizität, sondern nur Vorspiegelung im Spiele, können nicht mehr verfangen. Wir haben nicht eine einzig wahre Natur, das einzig verbindliche Selbst oder irgendeine fixierte Identität in uns, die ehrlichkeitshalber nur zum Ausdruck gebracht werden muß, während alles andere nur Lug und Trug sein würde. Die Frage nach der Wahrhaftigkeit eines Gottes, der eine Metamorphose vollzogen hat, ist unangebracht, es kommt darauf an, was sich in der Wahrnehmung ereignet. Entscheidend ist das Erleben, etwa einem Schauspieler abnehmen zu können, was er vorgibt zu sein.

    Wir alle spielen Theater, was eben nicht bedeutet, daß es uns nicht ernst damit wäre. Das Maskenspiel ist dabei mehr als nur eine ausgezeichnete Metaphorik für das, was sich da eigentlich ereignet, es ist der Bruch mit der naiven Erwartung, daß wir immer dieselben sind und es auch bleiben. Wer eine Maske aufsetzt, übernimmt eine Rolle, wird somit zu jemand Anderen, wechselt also die Identität.

     

    [gview file=”https://nennen-online.de/wp-content/uploads/Nennen-Anthropologie-der-modernen-Welt.pdf”]

  • Anthropologie,  Moderne,  Motive der Mythen,  Theorien der Kultur,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Geldhandel als Krieg

    Auguste Rodin: Das Höllentor

    Auguste Rodin: Der Denker. Detail aus: Das Höllentor; Musée d’Orsay. Foto: Stefan Kühn via @ Wikimedia.org, Creative Commons 3.0 (CC-BY-SA 3.0).