• Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona,  Corona-Diskurs,  Corona-Politik,  Diskurs,  Ethik,  Identität und Individualismus,  Kunst,  Künstler,  Lehramt,  Lüge,  Moderne,  Moral,  Motive der Mythen,  Platon,  Politik,  Psyche,  Religion,  Schuld,  Seele,  Theorien der Kultur,  Utopie,  Wahrheit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Soziale Kompetenzen und geistige Inkompetenzen

    Fairneß als Zeichen von Größe

    Es gibt soziale Kompetenzen, die weit wichtiger sind als eine in sich selbst verliebte Konkurrenzgesellschaft, die doch nur am Ast sägt, auf dem sie sitzt. — Das wurde am Freitag deutlich, im Seminar für angehende Lehrer und Lehrerinnen, in dem es um Professionalität und Berufsethik geht.

    Man mag es kaum mehr glauben, aber Kinder bringen ein Gefühl für Gerechtigkeit gleich mit auf die Welt. Sie kämpfen sogar dafür, wissen aber vielleicht noch nicht genau, wie man solche Werte lebt ohne als dumm hingestellt zu werden.

    Hört man Vorschulkindern beim gemeinsamen Spielen zu, dann verhandeln sie die Regeln fast ebenso lange, wie tatsächlich auch gespielt wird. Und der Satz: „Das gildet nicht!“, klingt mir noch immer in den Ohren. — Wie so oft hat Jean Jacques Rousseau mal wieder Recht: Die Natur des Menschen ist und bleibt gut, solange die Gesellschaft keinen schlechten Einfluß ausübt.

    Gerade im Gerede über die vermeintliche Natur des Menschen glauben viele ohne die geringste Ahnung von Anthropologie, ihre beschränkte Sicht der Dinge und vor allem ihre Ressentiments unwidersprochen verallgemeinern zu dürfen.

    Wolfsmärchen

    Man glaubt es aus eigener Anschauung besser zu wissen. Wir leben angeblich in einer Konkurrenz- und Leistungsgesellschaft, im Kampf aller gegen alle, auf der freien Wildbahn, inmitten hochzivilisierter Welten, die von vorn bis hinten menschengemacht sind. — Also was soll die Berufung auf die angebliche „Natur des Menschen“?

    Tatsächlich haben wir alle erdenklichen Freiheiten, uns nach eigenen Vorstellungen zu „kultivieren“ in unserer Natur, als Person und vor allem in unserem Charakter. Aber genau diese Freiheit ist vielen suspekt.

    Dagegen dient die Berufung auf eine angeblich schlechte Natur des Menschen der Rechtfertigung, den Einzelnen die ihnen zustehenden Freiheiten in der Selbstfindung vorzuenthalten und zugleich so etwas wie „Menschenführung“ zu beanspruchen, mit der sich die Herrschaften zu allen Zeiten immer sehr gut legitimieren haben. — Entmündigung und Bevormundung sind daher noch immer auch in angeblich „freien“ Gesellschaften die Regel.

    Die Corona-Zeit hat überdeutlich gemacht, wie begrenzt die Haltbarkeit der angeblich garantierten Grundrechte eigentlich ist. Aus purer Angst haben viele ihre unveräußerlichen Grundrechte gegen vermeintliche Sicherheiten getauscht. Aber so etwas war schon immer ein schlechter Tausch.

    Jean-Léon Gérôme: Die Wahrheit kommt aus ihrem Brunnen (1896).

    Der von Kant geforderte Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, ist eben kein Kinderspiel. Angst war schon immer der schlechteste aller Ratgeber, Haß und Hetze waren noch nie ein Ausdruck guter Politik. Aber manche sind das Opfer eigener Ängste und greifen händeringend nach allem, was angeblich Halt verspricht. Es war manchmal wie bei einer Massenpanik, bei der manche einfach totgetrampelt wurden.

    Souveränität, Gelassenheit und Autonomie haben Seltenheitswert, wo alles über einen Leisten geschlagen wird.

    Fairneß

    Ausgerechnet im Leistungssport, bei dem es ja angeblich immer nur ums Gewinnen geht, also inmitten der Ellenbogengesellschaft, gibt es aber noch ganz andere Werte: Fairneß, Gerechtigkeit und Authentizität sind Zeichen wahrhafter Größe. Nur muß man sich so etwas leisten wollen und auch können.

    Wenn etwa bei der Tour de France alle Fahrer auf einen Konkurrenten warten, der zuvor unglücklich gestürzt war. Aus Gründen der Fairneß zügeln alle plötzlich den unbedingten Willen zum Sieg. Wenn sie dann mit beeindruckenden Gesten darauf warten, daß einer von ihnen aus höheren Gründen als erster ins Ziel fahren kann, dann zeigt sich, was menschliche Größe ausmacht. — Wenn eine Skiläuferin der Konkurrentin mitten im Rennen ihren Stock “ausleiht”, dann aber selbst  stürzen und sogar verlieren muß. Auch wenn jener Fußballer, der im Strafraum gestürzt aber keineswegs zu Fall gebracht worden ist, beim Schiedsrichter gegen den bereits gegebenen Elfmeter plädiert, dann haben wir gute Beispiele, die der dumpfen Ideologie unserer angeblich so herz– und geistlosen Konkurrenzgesellschaft haushoch überlegen sind.

    Wie lautet doch der dreiste Spruch einer der dümmsten Werbekampagnen aller Zeiten: „Ich bin doch nicht blöd!“ — Genau: Gelegenheit macht Diebe und wer etwas stehlen kann und es nicht tut, ist doch einfach nur blöd. Wer sich einen betrügerischen Vorteil verschaffen kann, wäre doch blöd, es nicht zu tun, oder?

    Die Seele des schlechten Gewissens

    Alle viel zu dürftig denkenden Schlaumeier vergessen dabei jedoch eines: Wir sind nie allein. Wir haben immer einen Zeugen dabei, nämlich uns selbst. Es ist das schlechte Gewissen und hinter alledem steht die eigene Seele.

    Davon ist seit geraumer Zeit immer weniger die Rede: Unsere Seele weiß offenbar sehr genau, was wirklich gut ist für andere und auch für uns selbst. — Ich vermute inzwischen, daß manche Depression von einem schlechten Gewissen herrühren dürfte, die von einer in die Ecke gestellten Seele ausgehen.

    Nicht von ungefähr wird dieser Tage der Unterschied zwischen Psyche und Seele immer wichtiger. Denn die Psyche ist offenbar inzwischen selbst zum Teil des Problems geworden. Sie stellt sich nur zu gern als Opfer hin, ist oft aber auch Täter an sich selbst, und dabei wirbt sie wie die Politiker für ihre viel zu einfältigen Machenschaften. — Tatsächlich sind die eigentlichen Motive oft nur von dieser Welt, wenn man an Narzißmus, Geltungssucht, Selbstverliebtheit, Voreingenommenheit, Rachsucht, Haß, Neid und Eitelkeit denkt.

    Aber fragen wir generell: Warum „gut“ sein wollen und vor allem wozu? — Nur aus Angst vor Strafe, wenn man erwischt würde, oder vielmehr aus eigenem Antrieb, also von innen her, aus eigener Motivation, weil wir uns eben die Freiheit zur Größe tatsächlich herausnehmen und auch leisten wollen.

    Würde den Belangen der Seele mehr Raum verschafft, die Weiterentwicklung der eigenen Person, der ganzen Welt, ja sogar der ganzen Menschheit würde bemerkenswerte Entwicklungen machen bis hin zu einer sehr viel menschlicheren Welt. — Aber viele glauben, mit dunklen Machenschaften, Rücksichtslosigkeiten, ja sogar mit Lug und Betrug sehr viel besser durchzukommen. Fragt sich nur wozu und wohin sie “durchkommen” wollen.

    Ein Zauberring, der unsichtbar macht

    Bei Platon wird dieses Problem näher erläutert anhand eines Motivs von einem magischen Ring mit der Fähigkeit, den Träger unsichtbar zu machen. Der Mythos vom Ring des Gyges geht auf eine antike Erzählung zurück, die in vielen Varianten durchgespielt worden ist. — Die Kernfrage aber lautet immer: Was würde man tun, wenn man diesen Ring hätte und dann ungestraft tun könnte, was und wie es einem beliebt.

    Eglon van der Neer: Die Frau des Kandaules entdeckt den versteckten Gyges (1660).

    Im Dialog bei Platon wird mit der Allegorie vom Zauberring erörtert, was in Pädagogik und Psychologie als „intrinsische Motivation“ bezeichnet wird. — Wer sich nämlich unsichtbar machen kann, der wäre schlicht unangreifbar und daher übermächtig.

    Die Frage liegt also auf der Hand: Wenn einem gar nichts passieren kann, egal was man tut; warum sollte man dann noch moralisch motiviert sein?

    Schön und lehrreich ist es immer, so etwas durchzuspielen, um in Erfahrung zu bringen, was dann wirklich geschieht, wenn man es täte. Die Aussichten auf den vermeintlichen Erfolg finsterer Machenschaften werden tatsächlich alsbald getrübt, wenn wir die Folgen näher in Augenschein nehmen. — Menschen haben nämlich nicht wirklich echte Freude am Erschwindelten. Genauer besehen zählt es nicht nur nicht, es fällt sogar alles zurück auf die, die es versucht haben, auf diese Weise einen Erfolg einzuheimsen, der gar keiner war.

    Gerade gegen diesen Impuls, sich solche Freiheiten zum Lügen und Betrügen herauszunehmen, gibt es wieder sehr schöne Gegenbeispiele. Tatsächlich ist uns nämlich an echter, wohlverdienter Anerkennung gelegen und alles andere zählt nicht wirklich.

    Da gibt es beispielsweise die Ballade von einem mächtigen Mann, der eine junge Frau begehrt, die ihm aber nicht zugetan ist. In seiner Liebesnot verlegt sich dieser seltsame Vogel auf einen Seelenzauber, um die Dame seines Herzens doch noch dazu zu bewegen, ihm gewogen zu sein und der Zauber verfängt. — Aber er hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er kann einfach nicht glücklich werden mit dieser gestohlenen Liebe, weil sie ja nicht „echt“ ist.

    Oder wenn etwa der vermögende Intimfreund einer aufstrebenden Künstlerin dieser einen ganz großen Gefallen tun will, indem er die von ihr geschaffenen, bisher nicht sonderlich gut verkauften Kunstwerke einfach seinerseits erwirbt. Er hat ja schließlich Geld genug und kann es sich leisten. — Was wird aber geschehen, sobald sie dahinterkommt, daß er es war, der alles aufgekauft hat? Käme sie sich dann nicht reichlich blöd vor?

    Man sieht, solche Rechnungen gehen einfach nicht auf. Wenn etwas nicht echt ist, dann kann und darf es gar nicht zählen, das wissen bereits Kinder sehr früh. — Daher wollen wir entweder echte Anerkennung oder lieber gar keine. Im Zweifelsfall kann man das eigene Scheitern noch immer als Zeichen echter Größe zelebrieren. Man hat es eben ehrlich versucht, aber die Welt war noch nicht reif genug.

    Wir legen also großen Wert darauf, sicher zu gehen, daß andere uns nicht einfach nur schmeicheln und etwas vormachen wollen. Und sogar Kinder, die erst noch das Auch–mal–Verlieren–Können lernen müssen, sind im Prinzip längst so weit, einsehen zu können, daß ein geschenkter Sieg nicht wirklich zählt. — Mit Augenzwinkern kann man ihnen tatsächlich bereits zu verstehen geben, daß man sie diesmal noch gewinnen läßt, weil sie sich noch allzu sehr ärgern über eine Niederlage im Spiel.

    Wie es wäre, Donald Trump zu sein

    Bei alledem denke ich immer mal wieder über den Charakter von Donald Trump nach, weil mir seine Unaufrichtigkeit und sein fortwährender Selbstbetrug nur schwer nachvollziehbar ist. Ich will verstehen, scheitere aber immer wieder an meinem Vorstellungsvermögen, wie es wohl vonstatten gehen könnte, derart von sich überzeugt zu sein, so daß man glaubt, sich selbst und andere auf Dauer belügen und betrügen zu können. — Und diese Gedanken drängten sich mir auch im Seminar über die “Fairneß im Sportunterricht” wieder auf.

    Enrico Mazzanti: Pinocchio (1883).

    Trump ist gewiß kein Sportsmann, dachte ich mir. Aber er spielt doch Golf, also müßte er doch irgendwie „fair“ sein, dachte ich mir dagegen auch wiederum.

    Derweil kam mir die Szene aus dem Bond-Film „Goldfinger“ in den Sinn, wo ein Bond-Bösewicht auf ganz jämmerliche Weise beim Golf betrügt, weil die von Gerd Fröbe so hervorragend gespielte Figur einfach nicht verlieren und daher auch nicht fair sein kann. — Der ins Nirgendwo verschlagene Golfball wird vom finsteren Gehilfen einfach durch ein Loch in der Hosentasche an Ort und Stelle platziert, was natürlich von Bond durchschaut und auch aufgeklärt wird.

    Um aber in der entscheidenden Frage weiterzukommen, habe ich einfach nach „Trump sportsman“ gegoogelt. — Gleich der zweite Fund ist eine Meldung aus dem Spiegel:

    „So gewinnt er immer.  Der US-Präsident Donald Trump hält sich für einen exzellenten Golfer. Tatsächlich schummelt er bei jeder Gelegenheit, sogar gegen prominente Mitspieler wie Tiger Woods.“ — Danke, mehr brauche ich nicht. Manchmal ist es mir schon wieder zu blöd, so einfach Recht zu haben.

    Das erklärt aber nur, daß er so ist, wie zu befürchten war. Aber erklärt wird nicht, warum Trump so ist, wie er ist. — Also versuche ich mir zu erklären, wie man sich wohl fühlen muß, wenn die Seele als Geisel genommen worden ist und am Kopenhagen-Syndrom leidet, wo die Geiseln beim Feuergefecht mit der Polizei den Tätern die Waffen nachgeladen haben.

    Um etwas zu verstehen, müssen wir es uns erst einmal vorstellbar und nachvollziehbar machen, aber dazu gehört sehr viel Einfühlungsvermögen. — Wenn es schon einen berühmten Aufsatz von Thomas Nagel gibt unter der Fragestellung: „Wie es ist, eine Fledermaus zu sein“, dann sollte es doch auch gelingen, sich vorstellen zu können, wie es wohl sein würde, Donald Trump zu sein, nicht auf Dauer, aber solange, bis man gesehen hat, wie Trump–Sein geht.

    Als Hilfsargument nehme ich derweil ein „Faktum“ aus anderen Zeiten. Es wurde nämlich vorzeiten über Mercedes–Fahrer, ihre Karossen und ihr Verhalten im Straßenverkehr gesagt, daß bei diesen die Vorfahrt bereits eingebaut sei. — So jedenfalls versuche ich mir zu erklären, wie der Trumpismus als Betriebssystem und Massenbewegung wohl funktionieren könnte. In der non–binären Welt von Trump, seiner Anhängerschaft und denen, die an ihn und seine Mission glauben, ist er ja so etwas wie ein Messias.

    Im Trump–Spiel kann es immer nur einen Gewinner geben. Demnach gibt es gar nicht die Möglichkeit, daß er auch mal verlieren könnte, denn so etwas ist im Schöpfungsplan einfach nicht vorgesehen! — Also kann eine Wahl, in der er verloren hat, einfach nur ein Fake sein, genauso wie die Fotos seiner Amtseinführung mit einem bemerkenswerter Neologismus gekontert wurden, bei dem man sich nicht genug die Augen reiben kann: Es gäbe neben der normalen Wirklichkeit noch so etwas wie „Alternative Fakten“, sagte seine seltsam anmutende Pressesprecherin damals.

    Kritik der Esoterik

    Allerdings bereitet es mir besondere Probleme, genauer nachzuvollziehen, warum es unter Esoterikern häufiger gerade solche Zeitgenossen gibt, die in Trump einen ganz großen, weisen, auserwählten, durchaus von den Göttern gesandten Erlöser sehen. — Ich muß gestehen, daß ich dann in meiner Gedankenarbeit regelmäßig an Belastungsgrenzen stoße, weil ich da einfach nicht mehr mitkomme.  Dabei spiele ich ganz gern auch mit schrägen Gedanken.

    In Kindertagen hatte ich unermüdliche Gedankenspiele mit Versuchen, mir etwas vorzustellen, was ich mir nicht vorstellen kann. Also wurde eine Vorstellung nach der anderen durchgewunken; sobald sie vorstellbar geworden war, wurde sie auch schon wieder abgelehnt… — So etwas erweitert den Horizont des Vorstellbaren ungemein und dennoch bleiben gewisse Grenzen der Phantasie.

    Nicht ohne schadenfrohe Selbstironie sehe ich mir selbst beim Experimentieren mit den Gedankenwelten mancher dieser Esoteriker zu. Bald zeigen sich nämlich in meiner Weltvorstellung die ersten Risse, dann kommen Strukturbrüche hinzu und schon bald brechen ganzen Gedankengebäude krachend in sich zusammen, wenn ich ernsthaft versuche, alledem einen nachvollziehbaren Sinn einzuhauchen.

    Da werden nicht nur die zu prüfenden Gedanken zu Crashtest-Dummies, schlußendlich kollabiert die ganze Versuchs-Anlage. — Es dauert übrigens etwa drei Tage, bis alles so einigermaßen wieder steht.

    Trump, Sportsgeist, Fairneß, wahrhafte Größe, tatsächliche Würde, Konzilianz und vor allem Persönlichkeit, wie das alles zusammengehört? — Manchmal paßt es eben nicht wirklich und alles bricht unter der Last der Lügen in sich zusammen.

    Für Gläubige ist so etwas aber nichts weiter als eine Prüfung in der Festigkeit des eigenen Glaubens. — Wie heißt es doch: Als sie ihr Scheitern bemerkten, da verdoppelten sie ihre Anstrengungen.

    Allerdings ist dieser Tage nicht nur ein Zentralgestirn reaktionären Denkens im Sinkflug begriffen. So ergeht es manchen dieser Tage, die einfach zu hoch geflogen sind. — Man kann nicht Angst mit Haß bekämpfen, man sollte auch nicht die Seelenheilkunde in die Hände vermeintlicher Coaches legen, die auf den Marktplätzen im Internet wie Wunderheiler herumziehen.

    Zur Fairneß, vor allem auch zu der, sich selbst gegenüber, braucht es Mut und Zuversicht. Aber so etwas fällt nicht vom Himmel. — Auf Bildung kommt es an, so viel Umweg muß sein.

    Manche wollen aber Erleuchtung nach dem Motto: “I like Genuß sofort”, noch so eine saublöde Werbung vorzeiten. Und diesen Spruch haben sich viele auch noch aufs Auto geklebt. — Da  mag es günstig erscheinen, gleich in den Glauben zu springen, als wäre es nur eine Mutprobe. Aber so etwas ist gar keine Leistung, sondern nur die Flucht vor der geistigen Freiheit.

    Auf die Bildung der Persönlichkeit kommt es daher an. Wir sollten einigermaßen sicher gehen können, daß wir uns selbst und anderen nicht einfach nur etwas vormachen. – Das ist es doch gerade, was “Kritik” ausmacht. Wir sollten uns nicht selbst auf den Leim gehen, sondern uns selbst ganz besonders “kritisch” betrachten.

    Als Kontrastmittel kann man dabei auf Philosophie, Kunst und Dichtung zurückgreifen:

    „Wer Wissenschaft und Kunst besitzt,

    Hat auch Religion;

    Wer jene beiden nicht besitzt,

    Der habe Religion.“

    (Johann Wolfgang von Goethe: Gedichte. Nachlese. In: Berliner Ausgabe; Bd. 2, S. 383.)

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Warum der Teufel den Schnaps gemacht hat

    Ein Kritiker vor dem Herrn

    Nur in bestimmten Religionen ist der Teufel nicht wohl gelitten, sondern gefürchtet und sogar verhaßt. Das sagt mehr über den schlechten Charakter mancher Religionen, als über den Teufel selbst aus. Natürlich muß auch er ein Geschöpf Gottes sein, wenn nun mal alles aus einer Hand stammen soll.

    Wenn es nur einen einzigen, noch dazu wahren, allgegenwärtigen, allwissenden und gütigen Gott geben soll, dann darf es keinen zweiten und schon gar keinen Gegen–Gott geben. Warum? — Eher aus Gründen der Konkurrenz, die Priester nicht mögen. Sie möchten vielmehr das Monopol für alles Göttliche.

    Mit dem sogenannten Bösen geht nicht nur in Hollywood–Streifen immer eine Herausforderung einher, so daß sich das sogenannte Gute bewähren muß.

    An seiner Aufgabe, die er sich selbst gegeben hat, läßt sich der Teufel am ehesten verstehen: Er ist der Versucher , das ist seine Sache. — Mephistopheles stellt sich in Goethes Faust vor als:

    Franz von Stuck: Luzifer (1890). — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Ein Teil von jener Kraft,
    Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.
    (…)
    Ich bin der Geist, der stets verneint!
    Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,
    Ist wert, daß es zugrunde geht;
    Drum besser wär’s, daß nichts entstünde.
    So ist denn alles, was ihr Sünde,
    Zerstörung, kurz das Böse nennt,
    Mein eigentliches Element.
    (…)
    Ich bin ein Teil des Teils, der anfangs alles war,
    Ein Teil der Finsternis, die sich das Licht gebar, …

    (Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Eine Tragödie. In: Werke; Bd. 3. S. 47.)

    Ein Geschöpf Gottes soll er sein, sogar einer der Mächtigsten, wenn nicht der Mächtigste überhaupt, dann aber sei er abtrünnig geworden. — Das soll so gekommen sein: Als der mit sich selbst jeden Schöpfungstag immer zufriedener werdende Schöpfer seinen Engeln endlich die fertige Schöpfung und dann auch deren vermeintliche Krone vorstellte, soll er von den Geistwesen verlangt haben, vor dem Menschen niederzuknien.

    Das haben auch fast alle folgsam getan, nur einer nicht. Luzifer, einer vom Schlage der Erzengel mit dem Flammenschwert soll diese Huldigung ebenso selbstbewußt wie konsequent verweigert haben. — Und jetzt kommt, was nur Philosophen sich getrauen: Der Sache nachgehen, die möglichen Gründe prüfen, um dann zu dem ketzerischen Ergebnis zu kommen: Recht hat er, der Luzifer!

    Es gehört stets gewisser Mut dazu, auszuscheren und aus der Reihe zu tanzen, und das bringen nur wenige fertig. Wenn man sich in die so feierliche Situation hineinversetzt: Da ist der Schöpfer dieser Welt über alle Maßen stolz auf sich und sein Werk, dann kommt dieser Kritiker daher. Die allererste Lektion erteilt Luzifer dem Schöpfergott. — Das Selberdenken macht ihn philosophisch höchst interessant, so wird er zum Kritiker aller Kritiker.

    Unermüdlich wie Sisyphos versucht der Teufel seither, möglichst konkret nachzuweisen, daß der Mensch es nicht verdient, daß Engel sich tatsächlich vor ihm verneigen. — Da wir uns den Sisyphos aufgrund einer Bemerkung von Albert Camus als einen glücklichen Menschen vorstellen sollten, dürfte es sich auch bei Luzifer um einen glücklichen Engel handeln, weil er sich seine Aufgabe selbst gegeben hat.

    Im jüdischen Glauben werden Engel sehr viel differenzierter vorgestellt. Das findet sich auch bei Rainer Maria Rilke in seinen Duineser Elegien. — Dort sind sie nicht einfach nur lammfromm, vielmehr mystische Wesen. Sie sind schön und schrecklich zugleich, und sie stehen dort, wo große Geheimnisse zu erwarten sind. Der Anfang der ersten Elegie hat etwas von dem, was hier dargestellt werden soll:

    Wer, wenn ich
    schriee, hörte mich denn aus der Engel
    Ordnungen? und gesetzt selbst, es nähme
    einer mich plötzlich
    ans Herz: ich verginge von seinem
    stärkeren
    Dasein. Denn das Schöne ist nichts
    als des Schrecklichen
    Anfang, den wir noch grade ertragen,
    und wir bewundern
    es so, weil es gelassen verschmäht,
    uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.

    (Rainer Maria Rilke: Duineser Elegien. In: Sämtl. Werke; Bd. 1. S. 685.)

     

    Der Mensch ist zwischen Tier und Engel gestellt und ist nicht sicher zu Hause bei sich, wie Rilke sagt. — Das ist dann wohl auch der eigentliche Grund, warum Luzifer in seiner Eigenschaft als Lichtbringer und als der Oberste aller Teufel gewisse Entwicklungsdienste leistet. Der Teufel ist also ein Selbstdenker, mehr noch, er ist ein Schöpfungskritiker und dabei nicht unbedingt ein Feind des Menschen, sondern eher einer, der sich vom sogenannten allzu Menschlichen ebensowenig abhalten läßt in seinem Urteil, wie der ägyptische Schreibergott Thot beim Jüngsten Gericht. Auf der Seelenwaage wird das Gewicht einer Feder, in der einen Schale, gegen die mit Erdenschwere belastete Seele, in der anderen Schale, abgewogen. Derweil wirkt die Waage wie ein Lügendetektor, der auf jede Unwahrheit reagiert. Für den Fall ist die Seele verloren, sie wird verstoßen und dem hundsköpfigen Anubis zum Fraß zugeworfen.

    Rechts: Der ibisköpfige Thot als Schreiber beim ›Wiegen des Herzens‹, hinter Anubis (1300 BC). — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Es ist in der Tat befremdlich, desöfteren dabei zu sein, wenn Zeitgenossen sich selbst und anderen einiges vormachen wollen, was einfach nicht stimmt. Das ist schon eine wundersame Art der Urteilsbildung, sich auf den eigenen Leim zu kriechen. — Es braucht nicht viel an geistiger Durchdringungskraft und empathischer Beobachtungsgabe, um zu sehen, daß manche sich selbst und anderen gewissenlos etwas vormachen wollen.

    Wir haben allerdings auch ein Gespür für Unstimmigkeiten: Zumeist warten Sprache und Grammatik mit Seltsamkeiten auf, wobei man sehen kann, was alles zueinander passen muß, wenn etwas wirklich stimmt. — Wahrheit ist weit mehr als eine Frage der Logik, sondern ein ganzes Ensemble unterschiedlichster Aspekte, die nicht nur in der Aussage, sondern in ihrer ganzen Darbietung harmonisch abgestimmt sein müssen. Es zeigt sich, was alles im Kleinen und auch im Großen zusammenstimmen und im Einklang miteinander sein muß.

    Wenn eine Seele belastet ist durch die Erdenschwere solcher Selbstbetrügereien, dann wird sie gewiß keinen Freispruch erhalten. Es würde ohnehin nicht funktionieren, sich im Leben zu belasten, um dann nach dem Tode entlastet zu sein. — Da wirkt das Manöver der Christlichen Kirchen, daß die Schuld wie eine Lokalrunde schon für alle Zeiten im Voraus abgetragen sei, kaum besser als eine durchsichtige Abofalle.

    Erlösen müssen wir uns schon selbst. Luzifer ist dabei einer der besten Ratgeber, denn wenn etwas zu schwer ist, dann kann es auch nicht schweben. Dabei würden wir so gern engelsgleich abheben.

    Bei Platon gibt es dazu einen phantastischen Mythos vom gemeinsamen Zug mit den Göttern über das nächtliche Firmament bis zum Reich der Ideen am Rande der Welt.

    Die Götter haben allerdings ein Gespann mit zwei sehr guten Pferden. — Beim Seelenwagen der Menschen ist jedoch nur eines der Pferde wirklich tauglich für den Aufstieg ins Reich der Ideen.

    Der Versucher ist ein begnadeter Prüfer und wir tun gut daran, ihm zu vertrauen, denn wo er sich nicht bereit finden kann für seine Zustimmung, da haben wir sie auch noch nicht verdient. — Man sollte daher eher auf die Hilfestellung achten, die Luzifer als Versucher zu leisten imstande ist.

    Bei Goethe ist Mephisto ein Ironiker und manchmal zynisch, aus guten Gründen. Aber seine Ironie hat Empathie und sein Intellekt ist messerscharf, man kann ihm nicht mit dummen Ausreden kommen, denn er kennt sie alle.

    Das Teuflische am Alkohol

    Da sich der Teufel aber nicht ständig um alle höchstpersönlich kümmern will, hat er den Schnaps gemacht. Daher ist es so wesentlich, das Teuflische am Alkohol zu verstehen, um darüber sich selbst zu verstehen.

    Udo Jürgens irrt, wenn er meint, der Teufel habe den Schnaps gemacht, um uns zu verderben. Das ist zu kurz gegriffen.— Wie bereits dargestellt, geht es ihm darum, uns zu prüfen, ob wir es verdient haben, seine Achtung zu erhalten und eine Fluglizenz ins Transzendentale.

    Der Songtext von Udo Jürgens, hat allerdings eine bemerkenswerte Pointe. Da sitzt ein Antiheld in seiner Stammkneipe. Ein Mädchen von der Heilsarmee versucht ihn engelsgleich zu retten, indem sie dem Trinker ins Gewissen redet, was natürlich mitnichten verfängt. — Bekanntlich können alle, immer und zu jeder Zeit aufhören, nur momentan gerade nicht, und darauf trinken wir erst mal noch einen.

    Dann aber kommt die wirklich luziferische Pointe: Er bringt das Mädchen nach Hause und sie nimmt ihn mit zu sich auf ihr Zimmer. — Aber dort macht der verhinderte Held eine teuflische Selbsterfahrung:

    Sie lud mich in ihr Zimmer ein
    Und dort erfuhr ich dann
    Wer zuviel trinkt
    Ist leider oft
    Nur noch ein halber Mann.

    (Udo Jürgens: Der Teufel hat den Schnaps gemacht (1973).

    Unvergeßlich ist auch Wilhelm Busch:

    Es ist ein Brauch von alters her,
    wer Sorgen hat, hat auch Likör!

    (Wilhelm Busch: Die Fromme Helene. In: Gesammelte Werke. Bd. 2, S. 282.)

    Der Spruch bringt es zuverlässig auf den Punkt. Man achte wieder auf den Kontext: Wäre sie nicht ganz so fromm, die Helene, dann hätte sie nicht ganz so viele Sorgen und bräuchte auch nicht so viel Likör. — Wer der alkoholischen Versuchung nicht widerstehen kann, tröstet sich also über etwas ganz Anderes hinweg.

    Der Alkohol ist wie ein Eisberg, bei dem auch vier von fünf Teilen unter der Oberfläche liegen. Aber weder Luzifer, noch der Alkohol ist das Problem, sondern der vermeintliche Trost, den er spendet, durch Betäubung seelischer Schmerzen. — Aber die Linderungen halten nicht vor, denn es werden nur die Symptome bekämpft. Dann kommen die Schmerzen wieder, um erneut im Alkohol ertränkt zu werden. Alles schreit förmlich danach.

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    Die Schönheit der Seele

    Psyche und Seele

    Das Symposion ist schon weit fortgeschritten, als sich unerwartet ein illustrer Gast einstellt. Alkibiades, reichlich berauscht und gestützt auf zwei Flötenspielerinnen, begehrt Einlaß, was ihm selbstredend gewährt wird. — Und wie es in solchen Situationen häufig so ist, läßt er sich kurz erläutern, daß man sich nicht zum Zechen, sondern zu einem weiteren Dichterwettstreit zusammengefunden haben. Es gelte, ein Loblied auf den Gott der Liebe, auf Eros aufzuführen.

    Anselm Feuerbach: Das Gastmahl. Nach Platon (zweite Fassung: 1871). — Im Mittelpunkt steht der Gastgeber Agathon, geschmückt mit dem Lorbeerkranz, weil er den Dichterwettstreit gewonnen hat. In der rechte Bildhälfte, mit dem Gesicht vom Geschehen abgewandt, vollkommen in sich versunken, sieht man auch Sokrates. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Wer so spektakulär auftritt, steht ohnehin im Mittelpunkt. Also legt der später nicht unumstrittene Machtpolitiker einstweilen los mit seinem Lobgesang auf den Gott der Liebe. Er läßt sich nieder und erzählt von einer ungeheuren Liebe, der er verfallen sei, die ihm aber unerfüllt blieb. Dabei sei die Verführung bestens vorbereitet worden. Er habe die Diener weggeschickt, die Bettdecken bis auf eine reduziert, so daß man einander zwangsläufig habe näherkommen müssen, und dennoch habe er kein Glück damit gehabt. — Dabei sei doch die Person, um die es ging, rein äußerlich nicht nur nicht schön, sondern eigentlich häßlich, wäre da nicht diese Schönheit der Seele, die von innen her kommt.

    Platon ist ein Schalk, wenn er dem überschwenglichen Alkibiades erst in diesem Augenblick erlaubt, sich der anderen Seite hinzuwenden, um dann unmittelbar neben sich jenen zu erblicken, um den es ihm in allen seinen Liebesbekundungen die ganz Zeit geht: Sokrates. Dieser hatte zuvor seine Lobrede auf den Gott der Liebe gehalten, aber durch die Wiedergabe eines wegweisenden Dialogs über die Liebe, mit einer Lehrerin namens Diotima. — Diese prägende Unterweisung hat er in jungen Jahren erfahren. Die weise Frau aus Mantineia in Arkadien muß
    ihn sehr beeindruckt haben.

    Josef Simmler: Diotima. Porträt der Jadwiga Luszczewska (1855). — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Erneut geht es, wie bereits im Höhlengleichnis oder beim Seelengespann um einen Aufstieg, nunmehr aber in der Liebe.—Diotima empfiehlt eine Orientierung am Begehren des Schönen, wobei nicht typischerweise die Erotik schlecht geredet und dann ausgegrenzt wird. Vielmehr wird zugestanden, daß diese Form der Liebe zum Schönen den Anfang macht.

    Insofern ist die Rede von ›platonischer Liebe‹ als einer ohne Begehren philosophisch nicht berechtigt, weil ausdrücklich jede Form der Liebe zugelassen wird. — Sie sei ein ›heiliger Wahn‹, der von sich aus über sich selbst hinaus in transzendente Höhe führen werde, wenn sich dem nichts entgegengestellt. Den Anfang macht das erotische Begehren und die Fixierung auf äußere und individuelle Schönheit, dann aber erweitert sich diese Liebe zur Schönheit und wandelt sich zur Freude an der Schönheit der Liebe. Allmählich wird man mehr die innere und universelle Schönheit schätzen lernen, was sich schließlich auf den ganzen Kosmos erweitern kann.

    Damit hat die Schönheit einen bedeutenden Rang erhalten, der kaum mehr übertroffen werden kann. Und tatsächlich gibt es einige Hinweise, die Anlaß geben können, darüber zu spekulieren, ob womöglich diese ›innere‹ Schönheit nicht tatsächlich dem Absoluten noch am allernächsten kommen kann.

    Auch über die Vernunft läßt sich gleichermaßen spekulieren, daß sie, wenn sie damit betraut ist, ein Ganzes als solches vor Augen zu führen, sich dabei stets auf die Perspektiven der Ästhetik und der ästhetischen Urteilskraft zu stützen versteht. Das Interessante daran liegt darin, daß beim Empfinden von Schönheit nur noch plädiert aber nicht mehr argumentiert und schon gar nicht mehr bewiesen werden kann.—Das wiederum hat Hannah Arendt zu einem bemerkenswerten Experimentieren motiviert, eine Politische Theorie auf der Grundlage der Ästhetischen Urteilskraft zu entwickeln.

    Kristian Zahrtmann: Sokrates und Alkibiades (1911). — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Damit ist ein tiefes Geheimnis angesprochen, es geht darum, daß wahre Schönheit von innen herkommt, von der Schönheit der Seele. — Und wie sich den begehrlich Vorwürfen des Alkibiades dem Sokrates entnehmen läßt, ist der Politiker in seinen Besitzansprüchen und seinen Eifersüchteleien eben weit weniger an wahrer Liebe interessiert, sondern vielmehr an seiner eigenen Eitelkeit. Er wird damit zu einem mustergültigen Beispiel, wie man es besser nicht halten sollte, mit der Liebe.

    Hier läßt sich der Faden aufnehmen, um zu untersuchen und zu verstehen, wie denn der Zusammenhang zwischen Seele und Psyche beschaffen sein mag. Vor allem interessiert eines: Die zunehmenden Depressionen mögen auch als Hinweis genommen werden, daß wir uns viel zu sehr mit der Psyche, aber viel zu wenig mit der Seele befassen.

    Es ist an der Zeit, manche Begriffe endlich auch allgemeinsprachlich wieder in Gebrauch zu nehmen, die allenfalls noch von Theologen bemüht werden, die daher in diesen Sachen über das bessere Artikulationsvermögen verfügen. — Wir sollten nicht mehr nur vom Körper , sondern auch vom Leib sprechen, was nicht dasselbe ist. Wir sollten nicht mehr nur von der Psyche, sondern auch von der Seele reden. Wir sollten nicht mehr nur von Rationalität, sondern auch von Vernunft sprechen. Und wir sollten nicht mehr nur Rationalität, Verstand und Vernunft bemühen, sondern auch, was nicht leicht faßbar ist, den Geist.

    Psyche und Seele

    Nur bei oberflächlicher Betrachtung scheinen Psyche und Seele dasselbe zu meinen. Während die Seele häufig in religiösen, meditativen und esoterischen Kontexte thematisiert wird, erscheint die Psyche inzwischen eher wie ein Part of the game mit alltäglichen Belangen. — Und mögen wir noch so verheißungsvoll von unserem vermeintlichen Inneren sprechen, die Psyche ist nicht selten auch nur ein Spiel mit der Alltagsmaske.

    Es scheint, als habe die Psyche viel weniger von jener Tiefe, wie sie der Seele zugesprochen wird. Die Psyche ist offenbar sehr viel jüngeren Datums und damit auch ein Spiegel narzißtischer, selbstbezüglicher und materialistischer Belange, von denen sich viele versprechen, große Sehnsüchte zu stillen. Es sin Illusionen, die durch Konsumismus nicht bewältigt werden können.

    Vordergründig wirkt die Psyche als besonderer Teil unserer Seele, den wir uns über uns selbst bewußt machen möchten. — Das Gerede von der ›Suche nach dem wahren Selbst‹ kann die Sehnsucht nicht stillen, denn die Psyche ist selbst ein Teil des Theaters, das wir uns und anderen vorspielen. Ist die Theatermaske erst einmal mit dem eigenen Gesicht und den üblichen Oberflächlichkeiten fest verwachsen, dann kann auch kein Ausdruck von Tiefe mehr aufkommen, denn damit gehen auch Empathie und Authentizität verloren.

    Der Geist der Narrative

    Zugang zu den Tiefen in uns hat nur der Geist, der in den Narrativen wohnt.  Es kommt darauf an, mit Feingefühl die eigene Geschichte in tiefgründigen Dialogen ganz allmählich bewußt werden zu lassen. — Um Freundschaft mit sich selbst zu schließen, sollte man sich einstweilen näher kennenlernen. Dann kann man mithilfe der Philosophischen Psychologie noch einige wesentliche Schritte darüber hinaus gehen.

  • Anthropologie,  Ausnahmezustand,  Corona-Politik,  Diskurs,  Identität und Individualismus,  Kunst,  Moderne,  Moral,  Politik,  Psyche,  Religion,  Theorien der Kultur,  Utopie,  Wahrheit,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Die Vernunft, die Musen und das Glück

    Über Momente des Glücks, für die zu leben sich lohnt

    In der Medizin setzen nicht-invasive Eingriffe inzwischen neue Maßstäbe. Derweil betreibt die Politik noch immer hemdsärmeligen Interventionismus. Vernunft oder gar Geist sind unerwünscht.

    So ist die Homöopathie dieser Tage gestrichen worden von den Fortbildungen für Ärzten. Sie paßt nicht mehr in diese selbstverliebte Zeit. Man glaubt, größere Probleme nur mit schweren Waffen „lösen“ zu können. – Es wäre aber zu empfehlen, mehr über Soziale Systeme zur Kenntnis zu nehmen.

    Die Maulaffen-Performance aus Coronas Zeiten wird unbeirrt weiter fortgesetzt. Dabei ist die Welt längst aus dem Rhythmus geraten, weil Politiker in vielen Ländern allen Ernstes meinten, sie könnten auf Handsteuerung umschalten. Größenwahn inmitten einer Krise ist das Dümmste, was passieren kann.

    Es gibt nämlich gar kein Cockpit, keine Brücke mit Kapitän und Steuermann. Soziale Systeme haben alle ihren eigenen Autopiloten. Sie steuern sich selbst, ganz im Sinne ihrer internen Codes, ob Politik, Wissenschaft, Gesundheit, Recht, Religion, Kunst oder Liebe. – Es gibt keine Hebel der Macht. Das sind naive Vorstellungen, die eigentlich nie der Wirklichkeit entsprachen.

    Allerdings gibt es mehr oder minder große Dummheiten, die anfangs noch naiv, dann aber fahrlässig und bald schon unverantwortlich werden. „Gut gemeint“ ist nicht „gut gemacht“, beileibe nicht.

    Wer sich keinen Kopf macht, kann ihn auch nicht verlieren, das glauben wohl manche von denen, die immer vorneweg sind:

    „So tu doch was!“

    „Was soll ich denn tun?“

    „Das weiß ich auch nicht. –

    Aber tu doch endlich irgendwas!“

    Auch das 9 Euro-Ticket ist wieder so eine prekäre Meisterleistung. Es ist überhaupt keine gute Idee, gleich ganze Systeme zu marodieren, so wie zuvor noch die Kliniken in der Corona-Krise. Inzwischen sitzen alle erdenklichen Leute spaßeshalber im Zug und nehmen denen die Plätze weg, die nur zur Arbeit fahren. – Das Bahn-Bashing ist jetzt zur Freizeitunterhaltung geworden.

    Oder der staatliche Tankrabatt, der nicht wirklich an der Tanksäule ankommt, weil er vorher abgefischt wird. Und dann regen sich alle wieder auf über die bösen Spekulanten. – Es war seinerzeit eine Freude, als manche davon kalt erwischt wurden im Lockdown.

    Sie hatten große Kontingente an Sprit in Termingeschäften erworben aber gar keine eigenen Lagerkapazitäten. Als sie die Ware zum erhöhten Preis abnehmen sollten, mußten manche draufzahlen, damit ihnen irgendwer das Zeug zum Dumpingpreis noch vor der Lieferung abkauft.

    Was kann Politik? Wenn sie klug, vielleicht sogar vernünftig oder eventuell auch geistreich wäre, dann könnte sie einiges bewirken. Aber nicht durch Södern, Flickschusterei und Populismus. Jetzt mal eben eine Übergewinnsteuer zu beschließen, ist bereits am wissenschaftlichen Dienst gescheitert. Das geht glücklicherweise nicht auch noch, weil ein paar Grundgesetze im Wege stehen.

    Wir haben Privatwirtschaft und diese setzt sich selbst ihre Ziele, wie jedes andere System auch. – Schlechte Politik bringt aber die Systeme derart aus der Routine, so daß Desaster nicht mehr ausgeschlossen sind. So war und ist der Umgang des Staates mit Bahn, Bildung und Gesundheit einfach nur katastrophal. Mal eben Kindergärten und Schulen schließen, das war auch wieder so eine Meisterleistung.

    Ins Gesundheitswesen hat die Politik derart krass hineinregiert, so daß der eigentliche Zweck längst ins Hintertreffen geraten ist. Geht es wirklich noch um Gesundheit, wo die Fallpauschalen alles beherrschen?

    Neuerdings sind bereits die ersten Investoren auf besonders lukrative Arztpraxen aufmerksam geworden? Krankenhäuser sind bereits Spekulationsobjekte, die natürlich nur noch vorhalten, was sich rentiert, nicht gesundheitlich, sondern eben ökonomisch. – Und die Vorfinanzierung teurer Geräte für Facharztpraxen ist offenbar die nächste Stufe.

    Aber die Patienten spielen mit und lassen sich brav von Termin zu Termin schicken. Es passiert ja was, es wird ja was getan. Auf den Dossiers der Laboruntersuchungen finden sich Handreichungen für den werten Leser, für die man keinen Arzt mehr braucht. – Es ist ausgewiesen, was als “normal” gilt und was gemessen wurde. Aber die Normalität wurde als solche oft aus ganz anderen Gründen beschlossen, die mit Gesundheit selbst nichts zu tun hat. So sind die Werte für Blutdruck immer wieder gesenkt worden und die Zahl der Patienten stieg. Die wundersame Vermehrung gibt es also auch in der Medizin.

    Wer wird sich da noch vertrauensvoll in die Hände solcher Weißkittel begeben? – Aber die Leute vertrauen doch nur zu gern, um die eigenen Verantwortung nicht spüren und schon gar nicht tragen zu müssen. Wir leben in Zeiten eines neuen Paternalismus.

    Die Allermeisten konsumieren ihre eigene Unmündigkeit. Sie wollen mit der eigenen Erkrankung höchstselbst eigentlich nichts zu tun haben. Also sind sie auch nicht wirklich bei der Sache, dabei sollte es doch eigentlich um Heilung gehen.

    Krankheit ist dann kein Weg mehr, sondern nur wie Kalk im Wasserkessel, der weggemacht werden soll. Wenn ein Leiden “nur” psychisch bedingt ist, dann ist es eher so etwas wie pure Einbildung. – Nur, was sich messen läßt, hat ein Recht darauf, überhaupt ernst genommen zu werden. Kann man Geistlosigkeit messen?

    Der neue Diskurs über Depression, der interessanterweise von namhaften Comedians wie Schmidt, Sträter und Krömer angestoßen wurde, dürfte allerdings nicht ohne Wirkung bleiben. – Es gibt zu denken, daß ausgerechnet die Lustigsten unter den Mitmenschen die erforderliche Eloquenz aufbringen, endlich zu sagen, daß der Clown hinter seiner Maske weint und wie ihm dabei zu Mute ist.

    Wir leben in bewegten Zeiten. Es ist Chaos genug, mehr geht eigentlich nicht. – Im Hintergrund steht eine Medienrevolution, die ihresgleichen sucht. Nur noch die Erfindung des Buchdrucks kann der Kulturrevolution, die nun ansteht, überhaupt noch das Wasser reichen.

    Unter diesen Umständen verändert sich auch die Rolle von Politikern ganz radikal. Daher rühren auch die fortwährenden Versuche, das Netz der Netze unter Kontrolle zu bekommen. – Aber so viel läßt sich jetzt schon mit Gewißheit sagen: Es wird nicht gelingen. Wenn es eine Energiequelle gibt, von der die Kulturgeschichte angetrieben wird, dann ist es die Sehnsucht nach Individualität und individueller Anerkennung.

    In diesen Zeiten ist ein „Tal der Ahnungslosen“, wie noch in der DDR, als die Antennen bei Dresden nicht hoch genug sein konnten, um Westfernsehen zu empfangen, gar nicht mehr denkbar. In den hinterletzten Winkeln der Welt wissen alle, daß woanders ein anderes Leben geführt und andere Werte gelebt werden. Die dogmatische Begründung der „Hirten“, Tugendwächter und Gesinnungswächter, verfängt einfach nicht mehr. Es gibt immer Alternativen!

    Auch im gar nicht mehr ganz so freien Westen zeigen sich Veränderungen. Die Diskurse finden nicht mehr nur in der „Systempresse“ statt, sondern überall. Und sie werden derart divers, so daß sich manche Vertreter der Presse in Missionare verwandelt haben, die wie vor Zeiten in fremden Ländern den „Aberglauben“ bekämpften, um ihre „frohe Botschaft“ vorzubereiten. – Ganz so froh war die Botschaft für die Natives dann doch nicht, wenn man bedenkt, daß außereuropäischen Kulturen einfach der eigenen Identität beraubt wurde, um sie unter die Fuchtel fremder Herrschaft zu zwingen und Geschäfte auf ihre Kosten zu machen.

    Der Westen hat unendliches Leid über alle erdenklichen Kulturen gebracht. Schweigen wir hier von den Niederlanden, von Belgien oder Frankreich. Um nur ein Beispiel zu bringen: Die Briten haben während ihrer Besatzungszeit den Indern die Sinnenfreude ausgetrieben, weil sie bei sich zuhause gerade ihren Viktorianismus hatten und den Frauen gar keine und schon gar keine eigene Lust zugestehen mochten. – Noch heute zeigen sich die traumatischen Spätfolgen in Indien anhand von Gewaltverbrechen mit sexuellem Hintergrund.

    Die fremde Herrschaft ist zwar abgezogen, man hat aber seither keinen eigenen Umgang mit Sinnenfreuden mehr, sondern eine repressive Scheu und ein Schamempfinden, unter dem es brodelt und kocht. – Die Kultur wurde mutwillig zerstört, nur um Geschäfte zu machen. Es fehlt der Respekt vor dem Geist, wo immer nur aufs Materielle gestarrt wird.

    Man denke nur an den Opiumhandel in China. Das geschah, um die eigentlich stabile Kultur in China empfindlich zu schwächen und das Land mithilfe dieser Sucht in die Kniee zu zwingen. – Der Westen möge sich also bitte nicht so aufspielen, er sollte erst einmal Buße tun, im Gedenken an diese Verbrechen. Und wenn man bedenkt, daß ein Gutteil der Landesgrenzen von den Briten gezogen wurde, in Afrika und in Asien, bewußt mitten durch Stammesgebiete, weil man den Hader immer wieder für eigene Zwecke instrumentalisieren wollte.

    Man kann inzwischen erstaunlich viel über miese Machenschaften wissen. Das meiste davon ist nicht einmal mehr geheim, sondern läßt sich im Zweifelsfall mit Links sehr schnell dokumentieren. Das ist es, was das Netz ausmacht. – So war es eine Sternstunde, als die Planespotter an verschiedenen Flughäfen der Welt ihre Beobachtungen untereinander abstimmten und dann publik wurde, daß es regelrechte Folterflüge im Auftrag der CIA gab und daß die USA in Europa geheime Gefängnisse betreibt.

    Wir stehen erst am Anfang einer neuen, unübersehbar mächtigen Kulturrevolution. So etwas dauert mehrere Generationen und das Netz läuft sich gerade erst warm.

    Auf eine Medienrevolution folgt immer eine Kulturrevolution, weil ja nun noch mehr Menschen miteinander ins Gespräch kommen, ohne daß sich Herrscher oder Priester noch dazwischenschalten könnten.

    Zuvor entschied die Kirche, ob und wie ein Text das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Aber der Buchdruck machte die Kontrolle der Kommunikation durch die Kirche unmöglich. Fortan entschieden schnell namhaft werdende Drucker, was sie drucken wollten, aus ganz eigenen Motiven heraus.  – Darauf ging die Zensur von der Kirche an den Staat über.

    Martin Luther hielt nicht viel vom Buchdruck, aber bösartige Karikaturen über Papst und Kirche brachten seiner Reformation erst den richtigen Schwung. Der Papst als Schwein mit der dreifachen Krone, das konnten auch Leute verstehen, die noch nicht des Lesens mächtig waren.

    Darauf kam die Zeitungspresse und mit ihr kamen Parlamente, Parteien und Politiker. Und mit dem Radio kamen totalitäre Systeme auf, wie Faschismus oder Sozialismus. Neue Medien sind zu vielerlei einsetzbar, im Guten wie auch im Bösen. – Derweil splittet „die“ Öffentlichkeit sich immer weiter auf. Es gibt nicht mehr die einzig wahre herrschende Meinung aller Wohlmeinenden und Wohlinformierten.

    Manche unter den Politikern kommen in ihrer neuen Rolle gar nicht mehr an. Sie können sich nicht mehr als „Repräsentanten“ verstehen, als Volksvertreter, weil das „Volk“ selbst mündig geworden ist und niemanden mehr braucht, der noch das Wort stellvertretend ergreift.

    Die Zeiten sind vergangen, als Politiker noch in aller Eitelkeit betonten, sie seien die nächste Woche wieder in der Hauptstadt. Dort würden sie dann turnusmäßig auf irgendeine Wichtigkeit von Mensch treffen, um bei Gelegenheit das gemeinsame Anliegen umso dringlicher vorzutragen. – Man sollte sich aufgehoben, ernst genommen, verstanden und vertreten fühlen.

    Jetzt braucht es sie nicht mehr, diese Form der Repräsentative Demokratie, weil sich alle selbst ausdrücken und insofern auch repräsentieren können. Es gilt, endlich mehr Demokratie zu wagen. – Warum wählen wir den Bundespräsidenten nicht online? Wahlmänner braucht es nicht mehr, also auch nicht mehr eine Bundesversammlung.

    Die Rolle von Religionsfürsten, Priestern und „Hirten“ ist vakant geworden. Daher ist es auch kein Skandal mehr, wenn sich ein Bischof aus dem Ruhrgebiet vor etwa 10 Jahren in voller Überzeugung noch gegen die gleichgeschlechtliche Elternschaft aussprach, von wegen, das sei „widernatürlich“, Kinder bräuchten nun einmal Vater und Mutter. Das ist inzwischen einfach nur noch eine beliebige Meinungsäußerung. – Rosa von Praunheim saß mit in der Diskussionsrunde und sagte baff nicht ohne Schmunzeln: Daß er das noch mal erleben dürfte!

    Es ist alles auch ein bißchen viel, was sich in den letzten Jahrzehnten so alles radikal gewandelt hat. Und Manchen geht es noch immer nicht schnell genug. Dagegen hilft eine Sentenz von Niklas Luhmann: Viele würden immerzu noch mehr Veränderungen verlangen, ohne aber zu bedenken, „wie schnell wir schon fahren“.

    Jede Intervention führt zu Gegen-Reaktionen von Seiten der Sozialen Systeme, die sich ihrerseits auf die veränderten “Umweltbedingungen” einstellen, wie die Mineralöl-Spekulanten, die bei der Gelegenheit ganz außerordentliche Gewinne erwirtschaften werden. – Das stützt übrigens auch einen schlimmen Verdacht, dem bedingungslosen Grundeinkommen gegenüber.

    Im Prinzip kann man nur für ein Grundgehalt sein, wenn es denn wirklich so kommen würde, wie es im Traum erscheint: Eine Gesellschaft, in der Menschen einander durch Kreativität beglücken, die sich endlich darauf verstünde, die vielen schlummernden Talente in vielen von uns zu erwecken. Wäre das nicht wirklich lebenswert und sogar liebenswert? – Aber wie beim Tankrabatt würde schlußendlich nur eines die Folge eines solchen Grundeinkommens sein: Die Mieten würden steigen, weil Vermieter nun einmal mit Mietwohnraum spekulieren, um möglichst hohe Gewinne zu erzielen.

    Nein, die Welt ist überhaupt nicht einfach. Das Getue von Politikern mit ihrem Hang zum Interventionismus ist Budenzauber. Deswegen hat man den Tankrabatt auch nicht an dem Großhandel gegeben, dann wäre er an den Tankstellen angekommen. Auf den Hype kam es an, auf die Show, what ever it costs.

    Die Religion soll dieser Tage durch eine deterministische Wissenschaft ersetzt werden, die päpstlicher sein soll als der Papst. – „Follow the Science?“, da fragt sich nur wohin. Im übrigen, gibt es etwas Dümmeres als diesen Spruch?

    Man kann eine Hürde auch nehmen, indem man sie nicht etwa überspringt, sondern “unterbietet”, wie Trump, Johnson, Erdogan, Putin, Jong-un oder auch wie die Taliban. Wenn man nur die Frauen oder auch die Andersdenkenden aus vorgeschobenen Glaubensgründen möglichst radikal unterdrückt, dann wird alles wieder gut. –  Sorry, welcher Gott sollte daran Gefallen finden?

    Um abzulenken werden Probleme zur Not auch künstlich erzeugt und dann „gelöst“. Im Hintergrund stehen zumeist tiefer liegende Ressentiments gegen die Moderne, gegen jede Emanzipation und vor allem gegen Vernunft und Geist. Alles soll so bleiben wie es ist, besser noch, alles soll so werden, wie es einmal war, als alles angeblich noch gut war. – Aber auch das funktioniert mit Sicherheit nicht.

    Der treibende Faktor im Prozeß der Zivilisation ist Individualisierung. Alle suchen so gut sie können nach sich selbst, wollen sich spüren und sehen lassen können in ihrer Einzigartigkeit. Aber die Wenigsten wissen von sich, wer sie eigentlich sind oder sein wollen, ganz unabhängig vom Sollen. – Was hilft?

    Philosophie kann helfen, wenn es darum geht, mehr Boden unter die Füße zu bekommen. Man kann nicht alles zugleich anzweifeln und sollte schon gar nicht den Ast absägen, auf dem man sitzt. Der Reihe nach, also mit Methode geht das durchaus. – Wichtig und wesentlich ist aber vor allem eines, daß geredet wird. Es braucht Dialoge und Diskurse vor allem über das, was peinlich sein könnte, über Ängste, Gefühle, Sehnsüchte, Gelüste, Unsicherheiten, Rollenkonflikte. Wenn immer mehr Menschen einander authentisch begegnen, dann können Dialoge entstehen, die den Horizont wirklich erweitern. Dann könnte es auch sein, daß manche dieser Bannflüche brechen, mit denen wir uns und unseresgleichen immerzu klein machen und klein halten.

    Derzeit ist jedoch allenthalben ein Mangel an Geist, an Bescheidenheit und ein Mangel an Gelassenheit zu verzeichnen. Man glaubt ernsthaft, überall hineinpfuschen zu können, ohne wirklich eine Ahnung zu haben von dem, was da eigentlich vor sich geht in den Systemen.

    Wer hat denn die Endokrinologie wirklich so auf dem Schirm, daß die Wirkung künstlicher Hormongaben nicht nur so ungefähr verstanden wird, sondern in ihrer ganzen Wechselwirkung bis hinauf zur Seele, zur Psyche und bis hin zum Geist beurteilen zu können? – Es müßte schon ein Universalgenie sein, daß es so nicht mehr geben kann. Also braucht es den Streit der Fakultäten, aber keine Einheitspartei, keine Einheitswissenschaft und auch keinen Einheitsbrei.

    In der Tat steht ein Kurswechsel an, der Ausstieg aus dem Carbon-Zeitalter und der Einstieg in die Welt der regenerativen Energie. – Politik kann im Namen des Staates die Rahmenbedingungen schaffen oder auch verändern. Populismus ist aber kontraproduktiv.

    Ein schönes Beispiel für gelungene Politik ist das Patentrecht. Ein Erfinder wird seine Erfindung geheim halten wollen, weil er nichts davon hätte, wenn andere ernten, was er gesät hat. – Genau das aber wäre nicht im Sinne von Wirtschaft und Gesellschaft. Deren Interesse besteht vielmehr darin, daß Patente öffentlich gemacht werden.  – Also verbürgt sich der Staat dafür, daß die Rechte des Urhebers gewahrt bleiben. Dafür muß aber die Erfindung öffentlich gemacht werden, und der Erfinder erhält darauf sein Patent, mit dem er am Markt mit den Verwertern auftreten und verhandeln kann. Es braucht also eigentlich nicht viel, um ganz gewaltig etwas zu verändern, so daß es auf den richtigen Kurs kommt.

    In der chinesischen Philosophie gibt es dazu ein Prinzip, es ist das „Wu Wei“, was bedeutet „Nicht-Tun“. Damit ist aber keineswegs „Nichtstun“ gemeint, vielmehr geht es um eine Philosophie der Intervention. Es kommt darauf an, mit geringfügigen Eingriffen die entscheidenden Reize zu setzen, um einen Kurswechsel in die gewünschte Richtung zu bewirken. Das macht gute Politik zur Kunst.

    Das macht gute Pädagogik, gute Psychologie, gute Philosophie aus. In den Dialogen sind Mentoren nur anwesend und tun dabei, rein äußerlich betrachtet, nicht sonderlich viel.  Sie “moderieren” und sind wie die Katalysatoren in der Chemie oder in der Biologie. – Wenn und solange sie anwesend sind, wird aber das Unmögliche möglich.

    Reaktionen, für die eigentlich anspruchsvolle Rahmenbedingungen erforderlich sind, gehen ohne Probleme vonstatten, als wäre ein ganz besonderer Zauber im Spiel. – Die Meme, also gute Ideen haben etwas von solcher Zauberkraft. Wesentlich ist, daß ein Geist aufkommt, der die Musen zur Hilfe rufen kann, so daß man sich vor Begeisterung vor so vieler guter Einfälle kaum noch erwehren kann.

    Dann gilt es, mit bewußter Unterkühlung die einzelnen Optionen zu prüfen und womöglich ins Konzept zu bringen. Das wäre gute Politik, das ist aber bereits Kunst und vielleicht auch Philosophie, wenn denn das Gute, Schöne und Wahre wirklich zusammengebracht werden könnten.

    Wenn sich im Dialog die erlösenden Worte einstellen, so daß wir endlich sagen können, was schon längst sollte gesagt und verstanden worden sein, erst dann kommen wir uns selbst und einander näher in einem Verstehen, das seine Basis gefunden hat. Das sind Momente des Glücks, für die es zu leben sich lohnt.

    Die Wirklichkeit selbst wird immer vielfältiger, nur schwarz-weiß oder wenigsten grau zu denken, sie Sloterdijk anregt, ist noch immer nicht farbig. Aber das wäre vielleicht auch ein wenig zu viel des Guten. – Dagegen ist aber auch der kausalfetischistische Ungeist keineswegs dazu angetan, wirklich auf gute Ideen zu kommen.

    Johan König: Athene und die Neun Musen an der Quelle von Hipokrene (1624).

    Wie wäre es, wenn sich die Vernunft und die Musen zusammentun? – Wenn ich darüber spekuliere, wie die Vernunft es wohl macht, wenn sie ein Modell dessen erstellen soll, worauf es insgesamt ankommt, dann wird es doch wohl nicht im Sinne der MINT-Fächer sein, nicht im Sinne der vielberufene “Rationalität” oder “Wissenschaftlichkeit”, denn es gibt so viele davon wie Götter im Pantheon.

    Der Leitstern kann nicht der allenthalben bemühte Kausal-Fetischismus sein, der in der Corona-Krise schon so viel geistige Verwirrung gestiftet hat. Nein, die Vernunft optimiert sich in Hinsicht auf Schönheit, als Einheit des Wahren, Schönen und Guten. – Dieser Meta-Diskurs sollte endlich an die Stelle der Papstkirche treten, um die alten Götter ebenso wie die Musen dazu zu bewegen, ihre uralten Kämpfe, Tänze und Inspirationen wieder aufzunehmen.
  • Anthropologie,  Ethik,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Kunst,  Moderne,  Moral,  Psyche,  Seele,  Theorien der Kultur,  Zeitgeist

    Man will den Esel strafen, schlägt aber den Sack

    Über Sexismus und Sprachkritik

    Es ist erklärungsbedürftig, was dieser, zugegeben nicht ganz tierliebe Spruch besagen soll. Deutlich wird, was gemeint ist, anhand der aktuellen Debatten über Sexismus.
    Tatsächlich läßt sich ein nicht unwesentlicher Teil des Sexismus anthropologisch auf animalische Anteile zurückführen, die wir noch immer in uns tragen. Menschen sind herausgefallen aus ihrer vormaligen Tier-Natur im Paradies, es ist unser Schicksal, nie wieder “ganz” zu werden. – Rilke sagt über den Menschen,

     

    “und die findigen Tiere merken es schon,
    daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind
    in der gedeuteten Welt.” (Rainer Maria Rilke:  Duineser Elegien.)


     
    Das ist der Preis dafür, Mensch geworden zu sein: Daher die vielen Widersprüche in und zwischen uns. Und davon ist der zwischen „Körper haben“ und „Leib sein“ nur einer von vielen. – Wir beobachten uns, oft nicht gerade freundlich gestimmt. Auch sind wir nicht entweder das eine oder das andere, sondern mal das eine, mal das andere und das zumeist nicht wirklich voll und ganz.
     
    Lucas Cranach der Ältere: Paradies (Ausschnitt) (1530).
    An der Sprache nun andauernd neue Exempel wegen Sexismus vorzunehmen, ist auch keine Lösung im Umgang mit alledem. Genau das besagt offenbar dieser Spruch: Der „Esel“ ist also der Sexismus, den manche bestrafen möchten, aber nicht können. Daher wird die Sprache, also der „Sack“ geschlagen.
     
    Viele dieser Hypothesen über Sprechen und Sprache haben den Tiefgang von Verschwörungstheorien. Sie geben sich viel zu schnell mit möglichst einfachen Erzählungen vom angeblich Bösen hinter den Kulissen zufrieden.
     
    Nichts gegen mehr sprachliche Sensibilität und mehr Differenzierungsvermögen. Nur das kann helfen. Aber das geht nicht auf dem Umweg über Sprechverbote, sondern nur auf dem Umweg über noch mehr, noch bessere Worte, noch mehr Nebensätze und nur durch tiefere Dialoge, in denen die Empathie immer mehr zur Einfühlung kommen kann.
     
    Durch neu errichtete Tabus werden aus Widersprüchen nur noch größere Probleme, weil auch diese Aspekte des Menschlichen ein Recht darauf haben, Gehör, Ausdruck und Verständnis zu finden. – Über die angemessene Form läßt sich allerdings trefflich streiten. Es war schon immer eine Frage der Kultur, zu „kultivieren“, was, wie zum Ausdruck gebracht werden kann und auch soll.
     
    Allerdings hat der alltägliche Sexismus auch biologische Grundlagen, die noch aus dem Tierreich stammen. Das kann jede Frau am eigenen Leib erfahren. Spätestens dann, wenn ab einem gewissen Alter die begehrlichen Blicke seltener werden.
     
    Und mir als Mann entlockt es ein Schmunzeln über meine eigene Tiernatur, wenn ich sehe, wie mein Blick „fremdgesteuert“ wird. Allein vom Klackern höherer Absätze geht ein unwiderstehlicher Reiz aus. Dabei ist den TrägerInnen der richtige Klackerton offenbar von Bedeutung. Wären die Pumps stumm, blieben sie in den Regalen. – Aber ich muß ja nun nicht die Steuerung aus der Hand geben. Natürlich kann Mann sich über die eigene Tiernatur hinwegsetzen.
     
    Auf “Sexuelle Bildung” kommt es an, der Weg dorthin ist aber anspruchsvoller als gedacht. Vor allem geht es darum, möglichst viele solcher Widersprüche in angemessene Worte zu kleiden. – Wir können Weine degustieren und winden Worte zu Girlanden des ereignisreichen Geschmacksgeschehens, aber über Orgasmen reden, über Erotik und über die Spannung dieser Widersprüche, das können wir nicht.
    Nicht weniger, sondern sehr viel mehr neue Worte sind die Lösung. Nicht neue Tabus, nicht die Einschränkung, sondern erst die Erweiterung des Ausdrucksvermögens ist “Bildung”. – Der Baum der Erkenntnis hat noch viele Früchte, die allesamt verkostet werden sollten. Das “Verbotene” an diesen Früchten besteht allerdings darin, daß es immer auch ein Wagnis ist, sich zu öffnen, um sich zu erklären und einander zu verstehen.
     
    Wichtig ist jedoch nicht nur Reden, entscheidend ist erst das Verstehen. – Nur, wo mindestens zwei Menschen beisammen sind und einander verstehen, nicht allgemein, sondern ganz konkret in einer ganz bestimmten, höchst heiklen Angelegenheit, dort ist auch der Geist unter ihnen, der die Sicherheit verschaffen kann, sich aufgehoben zu fühlen, für Momente des Glücks.
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    EPG II b (online und Block)

    Oberseminar

    EPG II b (Online)

    Ethisch–Philosophisches Grundlagenstudium II

    SS 2022 | Beginn: 30. Juni 2022 | Ende: 14. August 2022 | Online und Block
    Ab 30. Juni 2022: 5 Seminare online | donnerstags: 14:00–15:30 Uhr, sowie
    3 Workshops im Block: 12., 13., 14. August 2022 | 14–19 Uhr | Raum: 30.91-110

    Zum Kommentar als PDF

    Universe333: YogaBeyond Honza & Claudine Bondi; Beach, Australia 2013. — Quelle: Public Domain via Wikimedia Commons.

    Zwischen den Stühlen

    Eine Rolle zu übernehmen bedeutet, sie nicht nur zu spielen, sondern zu sein. Wer den Lehrerberuf ergreift, steht gewissermaßen zwischen vielen Stühlen, einerseits werden höchste Erwartungen gehegt, andererseits gefällt sich die Gesellschaft in abfälligen Reden. — Das mag damit zusammenhängen, daß jede(r) von uns eine mehr oder minder glückliche, gelungene, vielleicht aber eben auch traumatisierende Schulerfahrung hinter sich gebracht hat.

    Es sind viele potentielle Konfliktfelder, die aufkommen können im beruflichen Alltag von Lehrern. Daß es dabei Ermessenspielräume, Handlungsalternativen und vor allem auch Raum gibt, sich selbst und die eigenen Ideale mit ins Spiel zu bringen, soll in diesem Seminar nicht nur thematisiert, sondern erfahrbar gemacht werden.

    Das Selbstverständnis und die Professionalität sind gerade bei Lehrern ganz entscheidend dafür, ob die vielen unterschiedlichen und mitunter paradoxen Anforderungen erfolgreich gemeistert werden: Es gilt, bei Schülern Interesse zu wecken, aber deren Leistungen auch zu bewerten. Dabei spielen immer wieder psychologische, soziale und pädagogische Aspekte mit hinein, etwa wenn man nur an Sexualität und Pubertät denkt. — Mitunter ist es besser, wenn möglich, lieber Projekt–Unterricht anzuregen, wenn kaum mehr was geht.

    Es gibt klassische Konfliktlinien, etwa Eltern–Lehrer–Gespräche, in denen nicht selten die eigenen, oft nicht eben guten Schul–Erfahrungen der Eltern mit hineinspielen. Aber auch interkulturelle Konflikte können aufkommen. Das alles macht nebenher auch Kompetenzen in der Mediation erforderlich. — Einerseits wird individuelle Förderung, Engagement, ja sogar Empathie erwartet, andererseits muß und soll gerecht bewertet werden. Das alles spielt sich ab vor dem Hintergrund, daß dabei Lebenschancen zugeteilt werden.

    Gerade in letzter Zeit sind gestiegene Anforderungen bei Inklusion und Integration hinzugekommen. Auch Straf– und Disziplinarmaßnahmen zählen zu den nicht eben einfachen Aufgaben, die allerdings wahrgenommen werden müssen. — Ein weiterer, immer wieder akuter und fordernder Bereich ist das Mobbing, das sich gut ›durchspielen‹ läßt anhand von Inszenierungen.

    Es gibt nicht das einzig richtige professionelle Verhalten, sondern viele verschiedene Beweggründe, die sich erörtern lassen, was denn nun in einem konkreten Fall möglich, angemessen oder aber kontraproduktiv sein könnte. Pädagogik kann viel aber nicht alles. Bei manchen Problemen sind andere Disziplinen sehr viel erfahrener und auch zuständig. — Unangebrachtes Engagement kann selbst zum Problem werden.

    Wichtig ist ein professionelles Selbstverständnis, wichtig ist es, die eigenen Grenzen zu kennen, und mitunter auch einfach mehr Langmut an den Tag zu legen. Zudem werden die Klassen immer heterogener, so daß der klassische Unterricht immer seltener wird. — Inklusion, Integration oder eben Multikulturalität gehören inzwischen zum Alltag, machen aber Schule, Unterricht und Lehrersein nicht eben einfacher.

    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit setzen zwar hohe Erwartungen in Schule und Lehrer, gefallen sich aber zugleich darin, den ganzen Berufstand immer wieder in ein unvorteilhaftes Licht zu rücken. — Unvergessen bleibt die Bemerkung des ehemaligen Kanzlers Gehard Schröder, der ganz generell die Lehrer als faule Säcke bezeichnet hat.

    „Ihr wißt doch ganz genau, was das für faule Säcke sind.“

    Dieses Bashing hat allerdings Hintergründe, die eben darin liegen dürften, daß viel zu viele Schüler*innen ganz offenbar keine guten Schulerfahrungen gemacht haben, wenn sie später als Eltern ihrer Kinder wieder die Schule aufsuchen.

    Ausbildung oder Bildung?

    Seit 2001 ist das Ethisch–Philosophische Grundlagenstudium (EPG) obligatorischer Bestandteil des Lehramtsstudiums in Baden–Württemberg. Es besteht aus zwei Modulen, EPG I und EPG II. — Ziel des EPG ist es, zukünftige LehrerInnen für wissenschafts– und berufsethische Fragen zu sensibilisieren und sie dazu zu befähigen, solche Fragen selbständig behandeln zu können. Thematisiert werden diese Fragen im Modul EPG II.

    Um in allen diesen Konfliktfeldern nicht nur zu bestehen, sondern tatsächlich angemessen, problembewußt und mehr oder minder geschickt zu agieren, braucht es zunächst einmal die Gewißheit, daß immer auch Ermessens– und Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Im Hintergrund stehen Ideale wie Bildung, Entfaltung der Persönlichkeit, die Erfahrung erfüllender Arbeit und Erziehungsziele, die einer humanistischen Pädagogik entsprechen, bei der es eigentlich darauf ankäme, die Schüler besser gegen eine Gesellschaft in Schutz zu nehmen, die immer fordernder auftritt. In diesem Sinne steht auch nicht einfach nur Ausbildung, sondern eben Bildung auf dem Programm.

    Auf ein– und dasselbe Problem läßt sich unterschiedlich reagieren, je nach persönlicher Einschätzung lassen sich verschiedene Lösungsansätze vertreten. Es ist daher hilfreich, möglichst viele verschiedene Stellungnahmen, Maßnahmen und Verhaltensweisen systematisch durchzuspielen und zu erörtern. Dann läßt sich besser einschätzen, welche davon den pädagogischen Idealen noch am ehesten gerecht werden.

    So entsteht allmählich das Bewußtsein, nicht einfach nur agieren und reagieren zu müssen, sondern bewußt gestalten zu können. Nichts ist hilfreicher als die nötige Zuversicht, in diesen doch sehr anspruchsvollen Beruf nicht nur mit Selbstvertrauen einzutreten, sondern auch zuversichtlich bleiben zu können. Dabei ist es ganz besonders wichtig, die Grenzen der eigenen Rolle nicht nur zu sehen, sondern auch zu wahren.

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    Studienleistung

    Eine regelmäßige und aktive Teilnahme am Diskurs ist wesentlich für das Seminargeschehen und daher obligatorisch. — Studienleistung: Gruppenarbeit, Präsentation und Hausarbeit.

  • Anthropologie,  Diskurs,  Ethik,  Götter und Gefühle,  Identität und Individualismus,  Kunst,  Künstler,  Melancholie,  Moderne,  Moral,  Motive der Mythen,  Platon,  Politik,  Psyche,  Psychosophie,  Religion,  Seele,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Utopie,  Wahrheit,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist,  Zivilisation

    Schuld: Eine mächtige Kategorie

    Johann Heinrich Füssli: Lady Macbeth, schlafwandelnd, (um 1783). — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Gewissensbisse, die zum Wahnsinn führen

    Der Dichter und Maler Johann Heinrich Füssli war derart fasziniert von den Werken des William Shakespeare, so daß er sich schon in jungen Jahren an Übersetzungen versuchte. — Als Maler schuf er einen ganzen Bilder–Zyklus mit berühmten Szenen, in denen die phantastische Stimmung eingefangen ist.

    So inszenierte er auch die dramatische Szene: Lady Macbeth V,1 von William Shakespeare. Die tragische Heldin wird von Alpträumen geplagt und findet einfach keine Ruhe mehr. Sie träumt mit offenen Augen und beginnt zu schlafwandeln. — Und es scheint, als wollte sie sämtliche Plagegeister vertreiben, die Zeugen ihrer Untaten, von denen sie verfolgt und um den Schlaf gebracht wird.

    Die Szenerie führt das schlechte Gewissen der Lady Macbeth vor Augen. — Ihr Mann war zunächst dem König treuergeben. Aber drei Hexen prophezeien ihm, selbst zum König zu werden. Um dem verheißenen Schicksal nun aufzuhelfen, schrecken Macbeth und seine Lady selbst vor einem heimtückischen Königsmord nicht zurück.

    Beide sind von blindem Ehrgeiz getrieben und verlieren im Verlauf der Ereignisse aufgrund ihrer Verbrechen zuerst ihre Menschlichkeit, dann ihr Glück und schließlich auch noch den Verstand, von ihrem Seelenheil ganz zu schweigen. — Dabei wirkt die Frau skrupelloser als der Mann. Ähnlich wie auch die Medea, setzt eine sehr viel entschiedenere Frau wirklich alles aufs Spiel, während der Mann eher zaghaft erscheint. Dahinter dürfte die Problematik stehen, daß Frauen lange Zeit nicht direkt aufsteigen konnten, nur über ihre Rolle als Ehefrau und Mutter.

    Es kommt im fünften Akt zu der im Bild von Füssli dargestellten Szene. Während sich Macbeth auf Burg Dunsinane mehr und mehr zum verbitterten, unglücklichen Tyrannen wandelt, wird Lady Macbeth immer heftiger von Gewissensbissen geplagt, denn die Schuld am Mord von King Duncan ist ungesühnt. — Alpträume kommen auf, sie beginnt im Schlaf zu wandeln und die Phantasie nimmt Überhand, bis sie schließlich den Verstand verliert und sich das Leben nimmt.

    Das Gefühl, sich womöglich gleich am ganzen Kosmos versündigt zu haben, durch eine Freveltat, dürfte sehr früh aufgekommen sein. Es gibt viele Beispiele dafür, daß durch ein Sakrileg eine ›heilige Ordnung‹ gestört wird, was nicht so bleiben kann. — Beispiele sind Sisyphos, ein Trickster, der nicht sterben will und den Tod immer wieder hinters Licht führt, oder Ixion, der erstmals einen Mord an einem Verwandten beging.

    Es gibt eine Klasse von Mythen, die sich als Urzeitmythen klassifizieren lassen. Väter verschlingen ihre Kinder, die Welt bleibt im Chaos, sie gewinnt gar keine Gestalt. Titanen herrschen, wobei der Eindruck entsteht, als wären sie die Verkörperung jener Geister, mit denen die Schamanen der Vorzeit noch umgehen konnten. — Die klassischen Mythen sind insofern auch ein Spiegel der Zivilisation, weil sie die angeblich barbarischen Zeiten zuvor als absolut brutal in Szene setzen.

    Erynnien, Furien, Rachegötter und Plagegeister

    Francisco de Goya: Saturn verschlingt seinen Sohn (1820f). — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Das sind auch Ammenmärchen der Zivilisation, die Rede ist dann von finsteren Zeiten. Zugleich setzen sich Mythen damit als Aufklärung in Szene, schließlich künden sie von der Überwindung dieser Schrecklichkeiten. Nicht nur der technische, zivilisatorische Fortschritt spielt bei alledem eine beträchtliche Rolle, sondern auch die Psychogenese. — Vermutlich kommt Individualismus erst allmählich auf, ebenso wie das Bedürfnis, sich selbst zu beobachten.

    Die klassischen Mythen inszenieren nicht nur das Sakrileg, sie errichten zugleich auch die Tabus dagegen, indem man die Ereignisse in eine viel frühere Urzeit abschiebt und zugleich demonstriert, wie entsetzlich die Folgen möglicher Tabubrüche tatsächlich sind.

    Wenn etwas Ungeheuerliches geschehen ist, dann treten bald schon Ungeheuer auf den Plan. Als würde die Welt selbst darum ringen, in den Zustand der ›vormaligen Harmonie‹ wieder zurückzukehren. — Aber irgendwie muß das Vergehen gesühnt werden. Es muß erst wieder aus der Welt geschafft werden durch Buße, weil erst dann die ›heilige Ordnung‹ wieder hergestellt werden kann.

    Zugleich sind die Götter selbst im Prozeß der Theogenese. Eine Götterdynastie folgt auf die nächste. — Interessant sind die Reflektionen darüber. So hat Kronos durch fortgesetzte Kindstötung der Gaia vorenthalten, was Mütter wollen, die Kinder aufwachsen sehen.

    Der Mythos schildert in dieser Vorstufe einen Zustand, in dem nicht wirklich Entwicklung statthaben konnte. — Erst in der Ära von Zeus wird die Welt auf die Menschheit zentriert. Dann treten die glücklichen Götter Athens sogar freiwillig zurück, um im Zuge des Prometheus–Projektes der Menschheit die Welt zu überlassen.

    Die Entstehung des Gewissens

    François Chifflart: Das Gewissen. 1877, Maisons de Victor Hugo, Paris. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

    Es ist vermutlich der aus Ägypten durch den Tempelpriester Moses beim Auszug der Juden mit auf den Exodus genommene monotheistische Gott, der bereits bei den Ägyptern mit einem allsehenden Auge symbolisiert wurde. Auch die Idee vom Jenseitsgericht stammt aus Ägypten, was zur bemerkenswerten Tradition der Ägyptischen Totenbücher geführt hat, das Leben als Vorbereitung auf den Tod zu betrachten.

     

    Mit der Bedrohung durch das Jüngste Gericht des Lebens kommt eine Psychogenese in Gang, die eine systematische Selbstbeobachtung erforderlich macht. — Wenn ein allgegenwärtiger und allwissender Gott ohnehin alles ›sieht‹, so daß man ihm nichts verbergen kann, dann scheint es angeraten zu sein, sich ein Gewissen zuzulegen, um sich genau zu beobachten und ggf. zu kontrollieren.

    Dementsprechend ist Kain auf der Flucht vor dem ›allsehenden Auge‹, weil er ›vergessen‹ hat, sich beizeiten ein Gewissen zu ›machen‹. — Das ist aber nur eine, noch dazu weniger anspruchsvolle Deutung des vermeintlichen Brudermords. Aus Gründen der Ethnologie können Ackerbauern und Hirten keine ›Brüder‹ sein. Offenbar hat sich der hier verehrte Gott, der das Opfer des Bauern ›ablehnt‹, noch nicht damit arrangiert, daß die Tieropfer seltener und die Opfer von Getreide und Früchten zunehmen werden.

    Kain auf der Flucht

    Erst mit der Urbanisierung erhält der Prozeß der Zivilisation seine entscheidende Dynamik. Der alles entscheidende Impuls geht mit dieser Gottesidee einher, mit der ganz allmählich aufkommenden Vorstellung eines Gottes, der alles ›sieht‹. — Dementsprechend illustriert Fernand Cormon die Flucht des Kain unmittelbar nach der Tat. Das Werk ist durch Victor Hugo inspiriert und schildert die Szene auf groteske Weise.

    Der Plot selbst ist zutiefst paradox: Kain ist Bauer. Er lebt von den Früchten der Erde, fürchtet sich jedoch schrecklich vor dem neuen transzendenten Gott, der im Himmel über den Wolken schwebt und der alles ›sieht‹. — Er verliert im Opferwettstreit, erschlägt seinen Kontrahenten, ist aber von diesem missionarischen Hirten offenbar längst bekehrt worden, denn er fürchtet sich fortan wie wahnsinnig vor diesem Gott. Darauf beginnt er eine halsbrecherische Flucht, um sich dem allsehenden, allwissenden, allgegenwärtigen Auge dieses Gottes doch noch zu entziehen.

    Fernand Cormon: Kain. 1880, Musèe d’Orsay, Paris. — Quelle: Public Domain via Wikimedia.

     

     

     

     

     

     

     

     

     

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    Psyche und Seele

    Über Unterschiede, die wieder das Ganze in den Blick nehmen

    Man glaubt, die Naturwissenschaften an die Stelle der Kirche setzen zu können und “alles” ist gut. Wissenschaft kann aber Religion gar nicht ersetzen. Außerdem gehörten dann auch die Geisteswissenschaften dazu.

    Da man dann aber selbst denken und sich bilden müßte, bleibt man lieber auf der “sicheren” Seite, bei “den” Fakten und verpaßt letztlich alles, was Wert wäre, gelebt, empfunden, gefeiert, geliebt und sogar geheiligt zu werden.

    Die Naturwissenschaften haben die Welt nur entzaubert und eine leere Welt geschaffen, in der dann ein nihilistischer Naturalismus die Leute erschreckt. Wichtig wäre, daß Naturwissenschaftler nicht über Sachen reden, für die sie nicht zuständig sind. – Wie Juri Gagarin, der erste Kosmonaut, der getreu seiner Partei verlautbaren ließ. Er wäre nach ein paar Erdumrundungen nun schon ziemlich weit im Kosmos herumgekommen, Gott habe er jedoch nicht gesehen. – Heilige Einfalt!

    Es gibt nicht nur Materie, sondern auch Geist, und wie man sieht, auch die Disziplin der Geistlosigkeit. – Es gibt nicht nur naturwissenschaftliche Fakten, sondern auch Narrative. Das ist übrigens das, was in anderen Kulturen als der “Geist der Ahnen” bezeichnet wird. Es sind die Narrative, in denen dieser “Geist” aufbewahrt wird, so daß man ihn jederzeit zu Rate ziehen kann, in den alten Geschichten.

    Es gibt nicht nur Körper und Psyche, sondern auch Leib und Seele. Und dann gibt es auch noch den Geist.

    Vor allem der Unterschied zwischen Psyche und Seele hat es mir in letzter Zeit angetan. Um die Corona-Krise überhaupt noch verstehen zu können, habe ich gute alte Begriffe wieder reaktiviert, so daß ich sie nun aktiv verwende. Es sind die Begriffe “Leib, Seele” und “Geist”.

    Ich vermute nämlich, daß die Psyche wohl eher ein Teil unseres Maskenspiel ist. Sie ist also nicht so authentisch, wie wir glauben.

    Die Psyche ist eher wie das “schlechte Pferd” in Platons Seelenwagen. – Wenn diese Hypothese stimmt, dann wäre die Psyche ein Teil der “Maske”, wie wir sie tragen, um uns selbst und anderen etwas vorzumachen.

    Während die Psyche viel Wert legt auf Äußerlichkeiten, ob die Inszenierung stimmt und den Vorbildern aus maßgeblichen Filmszenen “gerecht” werden kann. Legt die Seele, wenn man wiederum Platon folgt, großen Wert auf das, was der Psyche oft nur nachgesagt wird, echte Gefühle, wirkliche Verbundenheit, wahre Authentizität, tiefes Verstehen.

    Das ist alles nicht schlimm sondern völlig in Ordnung: Wir brauchen alles, Mechanik, Materie, Naturwissenschaften, Fakten, Narrative, Psyche, Seele und Geist. – Man sollte nur eben immer auch wenigstens ahnen, worauf es jeweils ankommen könnte, auf welcher Ebene ein Phänomen angesprochen werden muß.

    Wenn man in diesen Angelegenheiten etwas besser unterscheiden möchte, dann empfehle ich Platon. – Es ist berückend, wenn er im “Phaidros” erklärt, was mit der Seele ist.

    Das wird einmal veranschaulicht durch einen Seelenwagen, der von zwei Pferden gezogen und von einem Wagenlenker geführten wird. Dabei wird die Bedeutung von Schönheit und Liebe für die Seele und deren Wiedergeburt zur Darstellung gebracht.

    Einmal in tausend Jahren brechen die Götter zum Triumphzug über das Firmament, über die Milchstraße, auf, um bis an die Grenzen dieser Welt vorzudringen, um im Jenseits vom Jenseits die Ideen zu schauen. Mit dabei sind auch Menschen, die aber Mühe und Not haben, gewisse, schwierige Himmelspassagen zu meistern, mit einem guten und einem schlechten Pferd. – Das ist der Plot.

    Ich habe schon oft darüber philosophiert, geschrieben und Vorträge gehalten, aber das Original ist eben Platon. – Es ist schön zu sehen, was er gesehen hat.

  • Ausnahmezustand,  Corona,  Diskurs,  Götter und Gefühle,  Ironie,  Kunst,  Künstler,  Melancholie,  Motive der Mythen,  Religion,  Theographien,  Theorien der Kultur,  Urbanisierung der Seele,  Wissenschaftlichkeit,  Zeitgeist

    Mangel an Denken, Geist und Kultur

    Über Traumata, die aus ganz anderen Zeiten stammen

    “Weil Harald Schmidt seinen Impfstatus offenlässt, wird gemutmaßt, daß er ein Corona–Leugner sei.”, konstatiert RND, das Redaktionsnetzwerk Deutschland, geflissentlich darum bemüht, blitzgescheit zu wirken. 
     
    Geht es noch? So einfach ist also inzwischen die Mainstream-Logik geworden. — Ist er getauft und ein “Kind Gottes” oder verweigert er den Glauben an die Lehre der heiligen Mutter Kirche, daß nur die “Taufe” gegen die Versuchungen des Teufels Corona immun macht?

    Diese verschwurbelte Logik geht zurück auf ein uraltes religiöses Trauma, das über Generationen geschlummert hat im Unbewußten derer, die wenig oder gar nicht über die Tiefen der eigenen Seele nachdenken. — Die Kirche hat über Jahrhunderte die Menschen eingeschüchtert und in psychotische Angstzustände versetzt, so daß viele wirklich krank daran wurden, gegen Gott gesündigt zu haben.

    Hieronymus Bosch: Der Garten der Lüste, Ausschnitt (1480ff).

    Eine besondere Rolle dabei spielten hochtraumatisierte Mütter, wie die von Augustinus, Albrecht Dürer, Immanuel Kant oder auch Max Weber und viele andere Geistesgrößen mehr, von denen unbekannten Namens mal zu schweigen, obwohl doch diese sich gerade mangels Intellekt noch am wenigsten zur Wehr setzen konnten.

    Die Folgen sind Depressionen, Schuldgefühle, Melancholie und das Gefühl, nicht würdig zu sein, überhaupt nicht würdig. 

    Eine Politik der Angst muß nicht unbedingt mit äußerlicher, also militärischer, polizeilicher, psychiatrischer, sozialarbeiterischer oder pädagogischer Mißhandlung einhergehen.
     
    Es genügt auch eine Bedrohung von Seele und Leib durch elementare Ängste, um Menschen gefügig zu machen und in Lämmer zu verwandeln, die sich von den selbsternannten Hirten bewachen und führen lassen. Die christliche Missionierung der Kelten war auch erst erfolgreich, als man ihnen die Übel der Hölle vor Augen führte.
     
    Ähnlich verhielt es sich auch mit den unethischen Fernseh-Bildern aus Bergamo. Über Nacht war ein Großteil des Mainstreams “überzeugt”. Dabei waren sie nur eingeschüchtert und total verängstigt, weil da uralte Ängste heraufbeschworen wurden.
     
    Dabei wissen wir doch eigentlich inzwischen, daß einer ein Mensch sein kann, sogar ein guter Mensch, der nicht getauft ist. Und, die Erkenntnis des Tages: Es ist sogar auch möglich, die “Existenz” von Corona NICHT in Zweifel zu ziehen und dennoch kein Vertrauen zu haben, in die Impfpropheten dieser Tage. – Die Impfgläubigen begehen einen Fehler, wenn sie nicht den “ganzen Menschen” sehen, der eben mehr ist als die Summe seiner Organe im biologischen Sinne.

    Eines der Motive, sich nicht impfen zu lassen, liegt auch darin, einen individuellen seelisch-leiblichen Widerstand zu empfinden. Wer sich bisher nie gegen die neuesten Grippeviren hat impfen lassen, vielleicht gerade aufgrund von mangelndem Vertrauen in diese unsere viel zu käuflichen Wissenschaften, wird auch bei der Corona–Impfung, nach allem, was inzwischen bekannt wird, sich bestärkt fühlen in der eigenen Skepsis. Und viele werden sich ganz gewiß nicht einer Zwangstaufe beugen.

    Das mag in den Ohren derer, die an die Naturwissenschaften “glauben” und das dann auch noch für die ganze Wissenschaft halten, “esoterisch” klingen. Dabei ist es nur der Wunsch und Wille auf “Ganzheitlichkeit”. Wir haben nicht nur Körper und Psyche, sondern auch Leib und Seele. Wir haben mit der Entzauberung der Welt den Zugang zu vielem verloren, was andere Kulturen noch hatten, so etwas wie das Gefühl einer kosmischen Geborgenheit. 
     
    Die transzendentale Obdachlosigkeit führte im 19. Jahrhundert zum Nihilismus, eine der gefährlichsten Demütigungen, die dann zu vielen Verzweiflungstaten führt. Das zu leugnen, daß wir auch Wesen sind, mit großen transzendentalen Wünschen, ist die Schwäche der szientistischen Konfession. Es ist ein haltloser, substanzloser, absolut inhaltsleerer Glaube daran, daß die Banalisierung von allem, was mal heilig war, der Wissenschaft letzter Schluß sein soll.
     
    Insofern paßt auch die Corona-Politik in diese Weltanschauung, wenn man sich vor Augen führt, was alles geopfert wurde, wie etwa das Seelenheil von Kindern und Jugendlichen, die Grundrechte, die Freiheit und vor allem die Fähigkeiten zur Selbstverantwortung.
     
    Man hat sofort die Entmündigung betrieben und ein dementsprechend geistloses, antihumanes, pädagogisch gestriges Menschenbild in Kraft gesetzt, nur, um zu herrschen. — Geist paßt nicht in die bornierte Weltanschauung szientistischer Naturalisten, die von Kultur überhaupt nichts verstehen und daher meinen, das kann alles weg, wo wir doch jetzt alle Corona haben und der Versucher unter uns weilt.
     
    Daß dabei große Teile der Presse wie Inquisitoren auftreten, ist ein ganz böses Omen – für die Presse selbst. Sie werden damit nicht punkten, stattdessen wird der schon vor Jahrzehnten von Jürgen Habermas in seiner Habilitation diagnostizierte “Strukturwandel der Öffentlichkeit” jetzt geradezu “geboostert”. Die Qualität der Diskurse im Internet steigt rapide, man empfindet es als Erholung, endlich nicht mehr belehrt oder umerzogen zu werden von einer Presse, die sich selbst in ihrer Funktion mißversteht.
     
    Da lobe ich mir die Nachrichten im Fernsehen von “Welt”. Das geht so: “Sack Reis in China umgekippt. Rußland macht die USA verantwortlich, die EU schweigt.”  So möchte ich es. Selig die Zeiten, als es Beschwerden gab, wenn der Nachrichtenspreche Köpke die Nase verzog, vielleicht weil sie kribbelte und viele sich sofort beschwerten.
     
    Es ist verständlich, daß die  bisherigen Medien eine Heidenangst haben vor dem Internet und was es ermöglicht an einer noch weiter sich ausdifferenzierenden Öffentlichkeit. Darüber zu spekulieren, müßte eigentlich dazu führen, daß nur Qualitätsmedien auf der einen und der Boulevard auf der anderen Seite werden überhaupt überleben können.
     
    Da aber ganz offenbar fast allenthalben die Qualität sinkt und immer weniger Diskurs stattfindet, sondern Wertung, Verunglimpfung, Hypermoral und Erziehung, wird sich das, was bisher etabliert war, immer weiter selbst schädigen.  Auch die  bisherige “repräsentative Demokratie” wird in the long run ganz allmählich obsolet, denn wir leben nicht mehr im Postkutschenzeitalter. Es braucht keine Repräsentanten mehr, die für die sprechen sollen, die selbst die richtigen Worte nicht finden. Denn im Internet nimmt das sprachliche Differenzierungsvermögen, die Dialog- und Diskursfähigkeit ganz rapide zu.

    Und natürlich wird es Wettkämpfe in Hate speech geben, bis alles raus ist und wirklich nichts mehr einfällt. Im Jargon der Diplomaten sind das “Anpassungsschwierigkeiten”. — Der Popanz, der da aufgebaut wird, von wegen es drohe Gefahr von Rechts, ist im eigenen Interesse maßlos übertreiben. Es gab immer diese unterirdischen Stammtischparolen, sie sind nur zu anderen Zeiten nicht publik geworden. Und jetzt meinen alle, denen es in den Kram paßt, da würde sich eine neue “rechte” Gefahr auftürmen, für alle, die sich nicht führen lassen, sondern sich selbst orientieren wollen. Und dann wird alles in einen Topf geworfen: Ungeimpft, Coronaleugner, Wissenschaftsfeind, Antidemokrat, Antisemit, rechtsradikal, Verfassungsfeind.

    Was, wenn auf den Montags-Demos so allmählich auch FDP-Wähler auftreten? Was, wenn ein kleiner Regelbruch nun einmal dazu gehört, zu einer Demonstration. Wenn das als Spaziergang verkauft wird, dann sollte es auch ein ebensolcher bleiben. Das ist Kultur und die Polizei sollte gute Miene machen. – Aber vielleicht sind ja auch manche an einer Eskalation interessiert?
     
    Und was die Causa Harald Schmidt anbelangt, so bereitet es mir ein großes Vergnügen, wie er alle an der Nase herumführt, die nicht nachdenken.  Man sollte wissen, daß er, worüber er sich selbst in einer Sendung einmal köstlich amüsant geäußert hat, ein Hypochonder ist. 
     
    Da ist dann dieses Intimverhältnis zwischen Leib und Seele derart aktiv, so daß man nur die Wahl hat zwischen Skylla und Charybdis, Pest oder Cholera.
     
    Man erkrankt also entweder an Corona oder an der Impfung. Es gibt aber noch ein Drittes: Man geht auf Distanz, ganz konsequent, und das macht er. Wo das Problem liegt? Im Mangel an Denken, an Geist, an Kultur.
     
     
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    Amok und Nihilismus

    Über transzendentale Obdachlosigkeit

    Ich habe Amok nie verstanden. Bei Charles Bukowski, durch den man ebenso hindurch muß, wie durch Niklas Luhmann, geschieht das so nebenher. Irgendwer hat mal so richtig schlechte Laune, legt sich dann irgendwo auf die Lauer, nimmt sich ein Gewehr, wird Heckenschütze und ballert irgendwelche Leute ab, die einfach nur das Unglück haben, gerade in diesem Augenblick vor Ort zu sein.

    Nun, mir geht es ums Verstehen, nicht unbedingt um Verständnis. Das ist ein himmelweiter Unterschied.

    Man legt sich dann irgendwelche Erklärungen zurecht, so etwas die bei Schulmassakern, daß da jemand mit narzisstischer Störung zutiefst verletzt worden sein muß, der darauf “Rache” ausübt. Das ist auch dürftig, weil es nicht die tieferen Gründe erklärt. Wir alle sind schon mal so richtig mies verletzt worden und waren ernstzunehmend sauer, haben aber in der Regel nicht einmal daran gedacht, auf diese Weise damit umzugehen, um die Sache wieder “aus der Welt zu schaffen”.

    Edvard Munch: Melancholie (1894f).

    Einmal habe ich, um besser zu empfinden, in meiner Vorlesung einen Amoklauf aus der Perspektive desjenigen Schülers versucht zu beschreiben, der nun mit seiner Waffe durch den Flur läuft, während die ihm persönlich bekannten und doch vielleicht auch ehedem freundschaftlich verbunden Mitschüler vor ihm fliehen.

    Darauf bin ich auf die Idee gekommen, daß es eine Exit–Strategie geben muß. Es kam mir nämlich so vor, als würde mancher Täter sich womöglich den Flüchtenden anschließen, gewissermaßen auf der Flucht vor sich selbst und dem eigenen Horror.

    Aber bei dem Anschlag in Heidelberg waren es Studenten, die zumeist persönlich einander gar nicht bekannt sein dürften. Hier entfällt also ein zentrales Argument, persönliche Rache aufgrund persönlicher Demütigungen sei der Grund und der Anlaß. — Also, wie kommt einer dazu, Leute zu “bestrafen”, die so rein gar nichts mit irgendetwas zu tun haben? Was ist dann deren “Schuld”?

    Mir tut es leid für alle die, die da in diesem Hörsaal waren, für die Verletzten und noch mehr für die Toten, ihre Angehörigen, Freunde und Freundesfreunde. Sie alle haben mein Mitgefühl.

    Dennoch will man immer etwas über die Motive hören, als ob es doch irgendwelche zureichende Gründe gäbe. Fast schon entlastend wirkt da, wenn diese Motive religiöser oder politischen Natur sind. Dadurch wird die Absurdität nicht geringer, aber irgendwie hat die Ratio dann etwas, an dem sie sich halten kann.

    Eines ging mir nicht mehr aus dem Kopf, als ich von dem Amokläufer an der Uni in Heidelberg hörte. Er soll per Whatsapp kurz zuvor mitgeteilt und angekündigt haben, nachdem er sich die Waffen zuvor im Ausland beschafft hatte, „daß Leute jetzt bestraft werden müssen“. Dieses “Motiv” hat weiter gearbeitet in mir. Irgendwie scheint das ein Schlüssel zu sein für ein tieferes Verstehen ohne Verständnis.

    Dabei ist mir aufgefallen, daß diese Formel vom “Bestrafen” häufig verwendet wird, nicht nur von religiös motivierten Amoktätern, sondern auch von solchen, die eigentlich nicht religiös motiviert sein dürften, weil ihnen dazu jeder Backround fehlt. Dann bin ich heute beim Verfassen eines Textes auf den Zeitgeist der Moderne zu sprechen gekommen und darauf, daß mit der Entzauberung der Welt, mit dem Verlust eines Glaubens und einer transzendentalen Obdachlosigkeit diese grundverzweifelten Leute zunächst in Russland aufkommen, wie sie Dostojewski so eindringlich zur Darstellung bringt.

    Das hilft nun den Opfern und allen Betroffenen nicht wirklich, weil ihnen das die gesuchte und nicht zu findende Erklärung nicht geben kann. Und dennoch, es hat mit dem “Bestrafen” eine eigene Bewandtnis. Strafe, Sühne und Buße sind nämlich als Motive zutiefst religiös in einem tiefenpsychologischen Sinne. Das bedeutet, man muß nicht unbedingt auf irgendeine Weise gläubig sein, diese Archetypen sind einfach vorhanden im kollektiven Unbewußten.

    Edvard Munch: Der Schrei.

    Also, in der Moderne, wo nicht einmal mehr die Idee vom großen Ganzen noch möglich scheint, dort zerspringt die Welt in tausend Stücke und alle diese Fragmente erscheinen nur noch profan. Darauf wird dann die unselige Profanität selbst zum Skandal und zum verzweifelten Anlaß für Selbstverletzung, sei es am eigenen Leib oder auch am ›Körper‹ der Gemeinschaft. — Der Grund scheint zu sein, daß die Seele der Akteure in der von ihnen verachteten Welt seit geraumer Weile keine Nahrung mehr findet, zumal der Blick für Seelennahrung entweder gar nicht entwickelt oder eingetrübt ist.

    Auf diese Weise läßt sich nachvollziehen, warum es unter psychologisch prekären Umständen in den völlig entzauberten und profanisierten Fragmenten moderne Welten immer wieder zu diesen äußerst spektakulären und demonstrativen Terrorakten kommt, und woher die vielen religiösen Motive vor allem doch bei eigentlich religiös gar nicht motivierten Tätern rühren.

    Es läßt sich spekulieren, ob das Unvorstellbare nicht doch vorstellbar wird, wenn wir ernst nehmen, was viele dieser Täter als Motiv bekunden, sie wollten ›strafen‹. Als würde da ein geistig vollkommen entwurzeltes Prophetentum exerziert. Tatsächlich läßt sich aber annehmen, daß die Verletzungen in der Tat eine Art ›Buße‹ sein sollen, nur, in einem Kontinuum, das selbst völlig verirrt ist.

    Das hat Fjodor Michailowitsch Dostojewski in der ganzen seelischen Dramatik vor Augen geführt. Er war ein Seismograph der Konflikte, in die der Mensch mit dem Anbruch der Moderne geriet. In seinen Werken spiegelte er die irrlichternde menschliche Seele, ihre Sehnsüchte, Regungen und Träume, dann aber auch die Zwänge und Befreiungsversuche bis hin zum Verbrechen.

    Seit die Welt nur noch in Fragmenten erscheint, die allesamt nur noch profaner Natur sein können, konzentriert man sich ersatzhalber auf Äußerlichkeiten, spricht allenfalls von ›Werten‹ und verliert jede Vorstellung von Geist und Vernunft in ihrem Bezug zum Schönen, Erhabenen und daher auch zum Göttlichen. — Folgerichtig führt Friedrich Nietzsche dieser Befund zu einer verheerenden Diagnose: Nihilismus.

    Der junge Nietzsche selbst verwarf bereits in jungen Jahren diese Weltsicht der Haltlosigkeit und wandte sich der Philosophie von Arthur Schopenhauer zu, die nicht nur die Verzweiflung auf eine sehr konstruktive Weise deutet, sondern die auch eine Philosophie des Mitleids entwickelt und dabei bedeutende Gemeinsamkeiten mit fernöstlichem Denken entwickelt. — Es gäbe also schon philosophische Alternativen, die vor allem eigenes Handeln wieder möglich machen und nicht nur die aktive Weltverneinung und noch dazu die völlig unberechtigte “Bestrafung” zufällig anwesender Menschen, die dann zu Opfern werden. Kein Gott, kein Geist und nicht einmal ein Ungeist wird ein solches Opfer akzeptieren.

    Das ist keine Erklärung, die Trost spenden kann, es ist allerdings eine beunruhigende Einsicht in die seelische Kälte unserer Welt, die manche einfach nicht ertragen, schon gar nicht dann, wenn sie sich Hilfe nicht einmal mehr vorstellen können sondern meinen, sie könnten durch solche Taten irgendetwas bewirken, was alten Wunden heilt. – Stattdessen werden neue aufgerissen.